Anwaltsverschulden bei Gestaltung eines Vergleichs

Ein Rechtsanwalt muss bei der Abfassung eines Vergleichs alle Interessen seines Mandanten wahren. Die Sorgfaltspflicht erstreckt sich dem Bundesgerichtshof zufolge auch darauf, dass der Vergleich keine falsche Interpretation zulässt. Gegenstand des Urteils war ein Abfindungsvertrag zwischen Patient und Ärztin nach einem Behandlungsfehler. Aus dem Kontext war erkennbar, dass Ersatzansprüche der privaten Krankenversicherung nicht mit erfasst waren – der Text selbst ließ das aber nicht erkennen.

Ärztlicher Kunstfehler führt zu immensem Schaden

Nach einem Aufklärungsfehler einer Fachärztin für Orthopädie im Jahr 2004 strengte der Geschädigte einen Arzthaftungsprozess über rund 660.000 Euro für Schmerzensgeld, Ersatz des Haushaltsführungsschadens, Verdienstausfall und Pflegemehr- sowie Fahrtkosten an. Er erreichte 2011 ein Urteil, wonach ihm 200.000 Euro Schmerzensgeld zuerkannt wurden. Die Medizinerin, so die weitere Feststellung, habe ihrem Patienten auch alle zukünftigen Schäden aus der Verletzung zu ersetzen. Ansprüche wie der auf Erstattung von Behandlungskosten, die auf Sozialversicherungsträger übergehen, waren von dem Rechtsstreit nicht erfasst. Sodann schlossen die Beteiligten einen Abfindungsvergleich, wonach die Ärztin weitere 580.000 Euro zur Abgeltung jeglicher künftiger Ansprüche zahlen sollte.

Abfindungsvergleich benachteiligte Dritte

Die private Krankenversicherung, die dem Geschädigten die Heilbehandlungskosten erstattete, nahm daraufhin den Rechtsanwalt in Anspruch, der den Abfindungsvergleich auf Seiten des Verletzten geschlossen hatte. Sie warf ihm vor, damit ihre Erstattungsansprüche abgeschnitten zu haben, weil sie die Ärztin laut Vergleich nun nicht mehr in Regress nehmen könne. Das Landgericht Koblenz wies die Klage ab, das Oberlandesgericht Koblenz gab ihr statt. Der Anwalt wandte sich erfolgreich an den BGH.

Text fehlerhaft formuliert

Der IX. Zivilsenat befand, dass der Rechtsanwalt tatsächlich einen Fehler begangen hatte: Er habe es versäumt, die Heilbehandlungskosten ausdrücklich aus dem Vergleich auszuschließen, sodass der an sich eindeutige Vertragstext falsch interpretiert werden könne. Da der Geschädigte als Versicherungsnehmer auch verpflichtet sei, seine Ersatzansprüche auf die Heilbehandlungskosten an die Krankenversicherung abzutreten, hätte sein Anwalt auch diesbezügliche Interessen berücksichtigen müssen. Entgegen der Ansicht des OLG wurden dem Urteil zufolge aber – bei zutreffender Auslegung des Vergleichstextes, die den gegenseitigen Willen und die Interessen der Beteiligten berücksichtigt – die Kosten der Heilbehandlung nicht mit geregelt. Denn der Vergleich sei die Folge des vorangegangenen Rechtsstreits gewesen und habe keine weiteren Gegenstände mit regeln wollen. Der Mangel habe demnach keinen Schaden verursacht, weshalb die Klage abzuweisen war.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20

Redaktion beck-aktuell, 26. Januar 2022.