Anwaltshaftung bei Fortführung eines aussichtslosen Rechtsstreits
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Verschlechtert nach Beginn eines Rechtsstreits ein neues BGH-Urteil die Erfolgsaussichten erheblich, muss der Anwalt den Mandanten darauf hinweisen. Ansonsten kann er für danach entstehende Verfahrenskosten regresspflichtig sein. Das gilt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch dann, wenn er selbst für die weitere Verfolgung der Ansprüche eine Deckungszusage von der Rechtsschutzversicherung erhalten hat.

Erst in Immobilienfonds und dann in Anwalt "investiert"

Zwei rechtsschutzversicherte Anleger beteiligten sich 1997 an einem Immobilienfonds, dessen Wert sich leider nicht entsprechend ihrer Erwartungen entwickelte. 2011 schrieben die beklagten Anwälte einen Serienbrief an alle Fondsanleger und erhielten tausende Mandate, um Schadensersatz wegen Beratungsfehlern gegen den Anlegervermittler und andere Beteiligte geltend zu machen. Sie reichten kurz vor Verjährungsende rund 12.000 Anträge bei der Gütestelle ein. Nachdem die hier maßgeblichen Güteverfahren scheiterten, erhoben sie 2013 Klage. Die Rechtsschutzversicherung erteilte die Deckungszusage. Das Landgericht wies die Klage als verjährt ab. Kurz nach Einlegen der Berufung verkündete der Bundesgerichtshof in einem Parallelverfahren ein Urteil, in dem die Voraussetzungen der Verjährungshemmung durch das Güteverfahren präzisiert wurden. Danach war jegliche weitere Rechtsverfolgung der Anleger aussichtslos. Trotz eines entsprechenden Hinweises durch das Gericht verfolgten die Anleger ihren Anspruch weiter und legten gegen das Berufungsurteil - wiederum mit Deckungsschutz - noch vergeblich die Nichtzulassungsbeschwerde ein. Die Rechtsschutzversicherung verlangte nun aus abgetretenem Recht die Kostenerstattung für den gesamten Prozess von den Prozessbevollmächtigten. Das Landgericht Gera gab der Klage überwiegend statt, das Oberlandesgericht Jena wies sie ab. Der Bundesgerichtshof folgte der Auffassung der Versicherung teilweise.

Kosten teilweise wohl unnötig entstanden

Laut BGH ist für das Revisionsverfahren von einer Verletzung der Beratungspflicht auszugehen - diese liege hier auch nahe. Eine Aufklärung über die Sinnlosigkeit weiteren Vorgehens sei schon nach dem im Parallelverfahren ergangenen Urteil in Betracht gekommen - nicht erst nach dem Hinweis des Berufungsgerichts wie vom OLG angenommen. Die Bundesrichter betonten, dass die Beratungspflicht nicht nur zu Beginn des Mandats besteht, sondern während des gesamten Rechtsstreits andauert. Wäre die Berufung zurückgenommen worden, wären bis zu 4.000 Euro weniger Kosten entstanden. In dieser Höhe könne die Versicherung einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB erworben haben. Für die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde gelte das gleiche. Die Karlsruher Richter gingen dabei davon aus, dass Mandanten in der Regel ihren Deckungsanspruch nicht einsetzen würden, um aussichtslose Verfahren zugunsten des Gebühreninteresses von Anwälten zu führen. Diese Umstände müsse das OLG aber näher klären.  

Deckungszusage schließt Anwaltshaftung nicht aus

Der jeweils vorher erteilte Deckungsschutz schließt dem IX. Zivilsenat zufolge die Haftung der Rechtsanwälte nicht aus: Zum einen sei es der Versicherungsnehmer, der anhand einer umfassenden Beratung über die Rechtsverfolgung entscheide - nicht die Versicherung. Der Rechtsuchende habe lediglich einen Anspruch gegen die Versicherung auf Freistellung der Kosten aus dem Versicherungsvertrag. Im Übrigen liefe es dem Zweck des § 86 VVG - Übergang von Ersatzansprüchen auf die Versicherung - zuwider, wenn die irrtümliche Deckungszusage die Haftung des Anwalts ausschlösse. Die Rechtsanwaltshaftung sei aber auch kein Mittel zum Ausgleich einer möglicherweise unzureichenden Erfolgsprüfung durch die Rechtsschutzversicherung. Ein sachgerechter Interessenausgleich lässt sich aus Sicht des BGH durch die allgemeinen Regeln der Anwaltshaftung erreichen.

BGH, Urteil vom 16.09.2021 - IX ZR 165/19

Redaktion beck-aktuell, 7. Oktober 2021.