Anwaltliches Verschulden durch unterbliebene Vorfristnotierung

Ein Rechtsanwalt hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Dazu gehört dem Bundesgerichtshof zufolge bei zeitaufwändigen Rechtsmittelbegründungen grundsätzlich die Anordnung, neben dem Datum des Fristablaufs zusätzlich eine etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Andernfalls liege darin ein dem Kläger zurechenbares Verschulden.

Gelber Notizzettel reicht nicht

Ein Mandant unterlag mit seiner Schadensersatzklage beim LG München I. Dagegen legte er fristgerecht Berufung ein. Am 06.12.2021 begründete er das Rechtsmittel – jedoch verspätet – und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung. Er teilte mit, dass die Büroangestellte seiner Anwältin versäumt habe, das Ende der Begründungsfrist im Fristenbuch einzutragen. Sie habe die Frist zwar richtig auf den 25.11.2021 berechnet, aber lediglich auf einem gelben Notizzettel in der Handakte eingetragen. Die Anwältin habe dann bei der Berufungseinlegung anhand dieser kontrolliert, ob die Frist richtig berechnet worden sei. Da der Eintrag aber nicht im Fristenkalender vermerkt gewesen sei, seien ihr die Unterlagen nicht mehr zum Ende der Frist wieder vorgelegt worden. Der Fehler sei erst am 04.12.2021 bemerkt worden.  Das OLG München wies den Antrag auf Wiedereinsetzung schon deshalb zurück, weil der Kläger nicht vorgetragen habe, dass es in der Kanzlei die grundsätzliche Weisung gegeben habe, Vorfristen auszurechnen und zumindest in den Fristenkalender einzutragen. Seine Rechtsbeschwerde hat der BGH am 20.09.2022 als unzulässig verworfen.

Unterlassene Anweisung

Dem VI. Zivilsenat zufolge war dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben. In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist zu notieren, liege ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden seiner Bevollmächtigten. Die Anwältin hat laut BGH sorgfaltswidrig gehandelt, indem sie das Personal nicht anwies, grundsätzlich eine Vorfrist zu notieren. Es sei insofern zumindest möglich, dass die zusätzliche Fristensicherung der Vorfrist gegriffen hätte. Dann hätte die Kanzleiangestellte nicht denselben Fehler zwei Mal gemacht und im Ergebnis zumindest die Vorfrist im Fristenkalender eingetragen. Die Berufungsbegründungsfrist sei grundsätzlich zutreffend berechnet und auch in der Handakte vermerkt gewesen. Bei ordnungsgemäßem Vorgehen der Angestellten wären die Akten der Anwältin folglich rechtzeitig vorgelegt worden. In diesem Fall hätte die Juristin rechtzeitig bemerkt, dass noch keine Begründung erstellt war, und dies fristgerecht nachholen können.

BGH, Beschluss vom 20.09.2022 - VI ZB 17/22

Redaktion beck-aktuell, 13. Oktober 2022.