Anwaltliche Beratungspflicht bei Vergleichsabschluss

Ein Rechtsanwalt muss seinen Mandanten durch verständliche Darlegung der Sach- und Rechtslage in den Stand versetzen, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob er einen Vergleich annimmt oder nicht. Der Bundesgerichtshof lässt diese Pflicht nur dann entfallen, wenn der Mandant über die Vorteile und Risiken bereits im Bilde ist. Die Darlegungs- und Beweislast hierüber liege aber beim Rechtsanwalt.

Feuchtschäden nach Durchführung von Abdichtungsarbeiten

Ein Grundstückseigentümer beauftragte einen Garten- und Landschaftsgärtner mit der Durchführung von Drainage- und Abdichtungsarbeiten an seinem Haus. Nachdem die Arbeiten abgeschlossen waren, beklagte der Auftraggeber Feuchtigkeitsschäden an seinem Grundstück. Deshalb mandatierte er einen Rechtsanwalt und ließ ein Privatgutachten erstellen. Weil der Gegner außergerichtlich nicht klein beigab, leitete der Hauseigentümer ein (gerichtliches) selbstständiges Beweisverfahren ein. Der Sachverständige erklärte nach einer ersten Besichtigung schon vorab, dass ein Teil der Mängelbeseitigungskosten sogenannte Sowieso-Kosten sein würden. Noch vor Abschluss der Begutachtung begannen die Parteien mit Vergleichsgesprächen, die auch in einen Vergleich mündeten. Danach sollten alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag mit der Zahlung von 55.000 Euro abgegolten werden. Später behauptete der Mandant, dass die Mängelbeseitigungskosten das Vierfache der Vergleichssumme betrügen. Deshalb verklagte der Eigentümer seinen Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Höhe der Differenz, weil dieser ihn nicht über die Risiken des Vergleichsabschlusses beraten habe. Das Landgericht Deggendorf lehnte die Klage ab, das Oberlandesgericht München wies die Berufung zurück. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf.

Anwaltliche Beratungspflicht beim Vergleich

Ziel der rechtsanwaltlichen Beratung vor einem Vergleichsabschluss ist es dem BGH zufolge, dem Mandanten eine eigenverantwortliche, sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen. Dazu müsse er dem Auftraggeber die Sach- und Rechtslage verständlich darstellen. Bei deutlichen Vor- oder Nachteilen habe er darauf hinzuweisen und eine entsprechende Empfehlung auszusprechen. Der IX. Zivilsenat betonte, dass etwa eine anwaltliche Pflicht, von einer bestimmten Entscheidung abzuraten, sich auf die haftungsausfüllende Kausalität auswirke. Diese anwaltliche Obliegenheit entfalle nur dann, wenn der Mandant die Risiken sowieso schon kannte. Hierfür trage aber der Anwalt die Darlegungs- und Beweislast. Da das OLG München hierzu überhaupt keine Feststellungen getroffen hatte, wurde die Sache zurückverwiesen.

BGH, Urteil vom 20.04.2023 - IX ZR 209/21

Redaktion beck-aktuell, 12. Juni 2023.