Anwalt muss Berufungsbegründung eigenverantwortlich prüfen

Bevor ein Rechtsanwalt eine Berufungsschrift unterzeichnet, muss er sie selbstständig prüfen und die volle Verantwortung für das Schriftstück übernehmen. Zwar ist der Anwalt laut Bundesgerichtshof nicht gehindert, die Schrift von einem Dritten vorbereiten zu lassen. Seien aber 80 von 81 Seiten offenkundig von einem Nichtjuristen verfasst, sei die Grenze dessen, was von den Gerichten noch hingenommen werden müsse, deutlich überschritten.

Berufungsschrift enthält wirre Anträge

Die Eigentümerin eines Grundstücks verlangte von den Pächtern dessen Räumung und Herausgabe. Das Landgericht Cottbus gab der Klage statt. Die Berufung der Nutzer wurde vom Oberlandesgericht Brandenburg als unzulässig verworfen, weil sie nach Ansicht der Richter zweifelsohne nicht von einem Anwalt begründet worden ist. Der Anwalt habe wohl nur die erste Seite des Schriftsatzes verfasst und dann ohne eigene Prüfung unterzeichnet. Der Umstand, dass der Jurist der Bitte des Gerichts um Konkretisierung der Anträge nicht nachgekommen sei, sowie die wirre Gestaltung der Anträge deuteten darauf hin, dass der Rest von einem der beiden Pächter stamme. Die Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.

BGH: Selbstständige Prüfung ist entscheidend

Aus Sicht des BGH ist das OLG Brandenburg zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass die Berufungsbegründung nach Substanz und Stil nicht den vorangegangenen Schriftsätzen des Rechtsanwalts entspricht. Die Grenze dessen, was von den Gerichten noch hingenommen werden müsse, wenn der Anwaltszwang seinen Zweck erfüllen solle, sei hier selbst dann eindeutig überschritten, wenn das nachträgliche Verhalten des Rechtsanwalts außer Betracht bleibe. Die Seiten 2 bis 81 seien unübersichtlich, vieles sei doppelt formuliert und schwer verständlich. Sie bestünden größtenteils aus wirren Ausführungen, die juristische Fachkenntnisse vermissen ließen.

Schon die Anträge bleiben unverständlich

Als Beispiel zitieren die Bundesrichter einen Auszug der auf Anfang und Ende des Schriftsatzes verteilten Anträge:
"... die Klägerin zu verpflichten, den Beklagten das Vorkaufsrecht gemäß § 138, 242 iVm § 162 BGB einzuräumen wegen Verhinderung des Bedingungseintritts bzw. wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Handlung, das Vorkaufsrecht zu entziehen sowie wegen vorsätzlicher in Schädigungsabsicht erfolgter Entziehung der Nutzungsberechtigung und Vorkaufsberechtigung des Beklagten zu 2.
(…) die Klägerin zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen:
1) wegen notariell beglaubigten Vertrages, durch den sich die Klägerin zum Erwerber der Eigentumsgegenstände (der Beklagten) im Vertrag genannt, erklärt;
a) dazu war und ist der im Urteil genannte Feststellungsantrag, welche Kaufgegenstände im Vertrag enthalten sind, notwendig (…);
b) dazu ist der im Urteil aufgeführte Antrag auf Vorlage des notariell beglaubigten Vertrages notwendig (…)."

Verantwortung für Inhalte liegt letztlich beim Anwalt

Dem V. Zivilsenat zufolge muss die Berufungsbegründung das Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar sei er nicht gehindert, diese von anderen Personen, etwa einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich sei aber, dass der unterzeichnende Anwalt das Schriftstück selbstständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt.

BGH, Beschluss vom 11.02.2021 - V ZR 137/20

Redaktion beck-aktuell, 22. März 2021.