An­wäl­te müs­sen auch Ma­na­ger vor Plei­te war­nen
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Berät ein Rechts­an­walt ein Un­ter­neh­men re­gel­mä­ßig, muss er bei einer dro­hen­den In­sol­venz die Ge­schäfts­lei­ter auch vor deren ei­ge­nen Haf­tung war­nen. Das gilt laut Bun­des­ge­richts­hof je­den­falls bei einem "Nä­he­ver­hält­nis" zur Haupt­leis­tung des Man­dats­ver­trags.

Diese Frage hat der Bun­des­ge­richts­hof bis­lang noch nie be­ant­wor­tet, und auch die Fach­li­te­ra­tur hat sich kaum damit be­fasst: Kann die Hin­weis- und Warn­pflicht des Rechts­be­ra­ters eines Un­ter­neh­mens bei einem mög­li­chen In­sol­venz­grund eine dritt­schüt­zen­de Wir­kung für des­sen Ge­schäfts­lei­ter per­sön­lich haben? Ja, sagt des­sen IX. Zi­vil­se­nat in einem am Mon­tag ver­öf­fent­lich­ten Ur­teil.

"Al­ler­dings hängt dies vom In­halt des Man­dats­ver­trags ab", mil­dert er seine Kern­aus­sa­ge so­gleich wie­der ab. Im Streit ste­hen 85.000 Euro, die Vater und Sohn – einst In­ha­ber einer plei­te ge­gan­ge­nen GmbH & Co. KG – dem In­sol­venz­ver­wal­ter wegen ver­bo­te­ner Zah­lun­gen nach der In­sol­venz­rei­fe er­stat­ten muss­ten. Das Geld wol­len die bei­den (ge­nau­er: der Über­neh­mer ihrer For­de­rung) nun von der Be­rufs­haft­pflicht des Ad­vo­ka­ten zu­rück haben, weil er die bei­den nicht ge­warnt habe.

Schutz­wir­kung für Drit­te

Die Schutz­wir­kung man­cher Ver­trä­ge zu­guns­ten Drit­ter habe be­reits das Reichs­ge­richt be­grün­det, er­in­nern die Karls­ru­her Rich­ter. Sie stel­len dafür vier Vor­aus­set­zun­gen auf: Der Au­ßen­ste­hen­de muss mit der ver­trag­lich ge­schul­de­ten Haupt­leis­tung be­stim­mungs­ge­mäß in Be­rüh­rung kom­men. Der Gläu­bi­ger des Ver­trags muss ein schutz­wür­di­ges In­ter­es­se an des­sen Ein­be­zie­hung haben. Diese muss dem Ver­trags­schuld­ner be­kannt (oder für ihn zu­min­dest er­kenn­bar) sein. Und schlie­ß­lich muss ein Be­dürf­nis für die Aus­deh­nung des Ver­trags­schut­zes be­stehen (das re­gel­mä­ßig fehlt, wenn der Drit­te be­reits über einen in­halts­glei­chen ver­trag­li­chen An­spruch ver­fügt).

Und was be­deu­tet dies nun für An­wäl­te und ihre Man­dan­ten? Dazu heißt es in dem Ur­teil: "Das er­for­der­li­che Nä­he­ver­hält­nis liegt nur vor, wenn die Leis­tung des Rechts­an­walts be­stimm­te Rechts­gü­ter eines Drit­ten nach der ob­jek­ti­ven In­ter­es­sen­la­ge im Ein­zel­fall mit Rück­sicht auf den Ver­trags­zweck be­stim­mungs­ge­mäß ty­pi­scher­wei­se be­ein­träch­ti­gen kann."

Ent­schei­dend für eine Er­satz­pflicht ist dem­nach, ob die vom An­walt zu er­brin­gen­de Leis­tung nach dem ob­jek­ti­ven Emp­fän­ger­ho­ri­zont auch dem Drit­ten Schutz vor mög­li­chen Ver­mö­gens­schä­den ver­mit­teln soll. "In­wie­weit die­ses Nä­he­ver­hält­nis be­steht, hängt ent­schei­dend von Aus­prä­gung und In­halt des an­walt­li­chen Be­ra­tungs­ver­trags ab", for­mu­lie­ren die Recht­spre­cher er­neut ihr: "Es kommt drauf an".

Haf­tung von Ge­schäfts­lei­tern

Im Streit­fall folge das ge­schütz­te Dritt­in­ter­es­se aus der In­sol­venz­an­trags­pflicht (§ 15a InsO) und den bei ihrer Miss­ach­tung dro­hen­den Haf­tungs­fol­gen, schrei­ben sie wei­ter. Wobei sie aus­drück­lich auf § 102 des Un­ter­neh­mens­sta­bi­li­sie­rungs- und Re­struk­tu­rie­rungs­ge­set­zes (Sta­RUG) aus dem Jahr 2020 ver­wei­sen. Diese Vor­schrift gibt unter an­de­rem An­wäl­ten, Steu­er­be­ra­tern und Wirt­schafts­prü­fern auf, bei der Er­stel­lung eines Jah­res­ab­schlus­ses ihre Kun­den auf das Vor­lie­gen eines mög­li­chen In­sol­venz­grunds nach den §§ 17 bis 19 InsO und "die sich daran an­knüp­fen­den Pflich­ten der Ge­schäfts­lei­ter und Mit­glie­der der Über­wa­chungs­or­ga­ne" hin­zu­wei­sen (so­fern ent­spre­chen­de An­halts­punk­te of­fen­kun­dig sind und sie an­neh­men müs­sen, dass dem Man­dan­ten die mög­li­che In­sol­venz­rei­fe nicht be­wusst ist).

Kei­nen Un­ter­schied macht es dem­zu­fol­ge, ob es sich beim Man­dan­ten um eine ju­ris­ti­sche Per­son oder eine Ge­sell­schaft ohne Rechts­per­sön­lich­keit han­delt. Auch ein bloß fak­ti­scher Ge­schäfts­füh­rer kann üb­ri­gens ge­schützt sein, wenn der Rechts­be­ra­ter mit des­sen Vor­han­den­sein rech­nen konn­te. Ge­schä­dig­te Ex-Ma­na­ger kön­nen nach all dem ihren Rechts­schutz­ver­si­che­rer di­rekt in An­spruch neh­men (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VVG). Wie der Pro­zess end­gül­tig aus­geht, muss aber das OLG Köln noch­mals prü­fen.

Re­gress-Bombe etwas ent­schärft

Denn die obers­ten Zi­vil­rich­ter schrän­ken ihre ak­tu­el­le Grund­satz­ent­schei­dung in et­li­chen Punk­ten wie­der ein. "Der so ver­stan­de­ne Dritt­schutz der Hin­weis- und Warn­pflicht bei mög­li­chem In­sol­venz­grund birgt kein un­bil­li­ges Haf­tungs­ri­si­ko für den Rechts­be­ra­ter", trös­ten sie ge­stress­te An­wäl­te. Müsse sich ein Be­ra­ter zur ord­nungs­ge­mä­ßen Er­brin­gung der ge­schul­de­ten Haupt­leis­tung mit einer wirt­schaft­li­chen Krise des Rechts­trä­gers be­fas­sen, des­sen Ge­schäfts­lei­ter der In­sol­venz­an­trags­pflicht un­ter­liegt, sei "das mit der Über­nah­me eines sol­chen Man­dats ver­bun­de­ne, durch den Dritt­schutz er­wei­ter­te Haf­tungs­ri­si­ko von An­fang an hin­rei­chend über­schau­bar".

Oh­ne­hin grei­fe die Hin­weis- und Warn­pflicht bei einem mög­li­chen In­sol­venz­grund nur unter engen Vor­aus­set­zun­gen – näm­lich "erst, wenn dem Be­ra­ter der mög­li­che In­sol­venz­grund be­kannt wird, die­ser für ihn of­fen­kun­dig ist oder der In­sol­venz­grund sich ihm bei ord­nungs­ge­mä­ßer Be­ar­bei­tung des Man­dats auf­drängt". Eine bloße Er­kenn­bar­keit rei­che also nicht aus. Fer­ner müsse der An­walt Grund zur An­nah­me haben, dass sich der Ge­schäfts­lei­ter nicht über den mög­li­chen In­sol­venz­grund und die dar­aus fol­gen­den Hand­lungs­pflich­ten be­wusst ist. Und schlie­ß­lich er­for­de­re die Hin­weis- und Warn­pflicht keine ei­gen­stän­di­ge Prü­fung oder Er­mitt­lung des In­sol­venz­grunds.

BGH, Urteil vom 29.06.2023 - IX ZR 56/22

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 7. August 2023.

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