Anforderung an Darlegung der Insolvenzreife

Um die Zahlungsunfähigkeit darzulegen, muss keine Liquiditätsbilanz vorgelegt werden, wenn Erstere auch anders belegt werden kann. Dem Bundesgerichtshof genügt es, wenn der Liquiditätsstatus auf den Stichtag mit einem zusätzlichen Finanzplan für die folgenden drei Wochen, in dem tagesgenau Ein- und Auszahlungen gegenübergestellt werden, vorgelegt wird. Ergeben sich hieraus Unterdeckungen von über 10%, ist die Zahlungsunfähigkeit ausreichend belegt.

Tochtergesellschaft wurde zahlungsunfähig

Ein Insolvenzverwalter verlangte von einem Geschäftsführer und Gesellschafter rund drei Millionen Euro zurück, die dieser nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2012 noch ausgegeben hatte. Hintergrund der Transaktionen war, dass die Schuldnerin als Tochtergesellschaft Mitglied einer Unternehmensgruppe war, die bei einer Bank einen sogenannten Cash-Pool eingerichtet hatte. Jeden Arbeitstag wurden die Konten der Tochtergesellschaften automatisch auf null gestellt: Guthaben wurde auf das Masterkonto der Muttergesellschaft überwiesen und ein Soll wurde von selbigem ausgeglichen. Nach dem 31.12.2012 wurden noch Guthaben in Höhe von der geforderten Summe dorthin überwiesen. Sowohl vor dem Landgericht Lübeck als auch vor dem Oberlandesgericht Schleswig scheiterte der Insolvenzverwalter, weil die Gerichte den benannten Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2012 als nicht ausreichend belegt ansahen, da er keine Liquiditätsbilanz vorgelegt hatte.

Liquiditätsbilanz nicht notwendig

Nach Ansicht des BGH haben die Vorinstanzen jedoch die Anforderungen an den Vortrag des Insolvenzverwalters zur Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO überspannt. Eine Schuldnerin sei zahlungsunfähig, wenn ihre Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen zehn Prozent oder mehr betrage – es sei denn, die Lücke könne demnächst mindestens fast vollständig geschlossen werden und den Gläubigern sei zuzumuten, darauf zu warten. Für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit verlangt der II. Zivilsenat nicht die Vorlage einer Liquiditätsbilanz, wenn Erstere auch anders belegt werden kann. Es genüge ein Liquiditätsstatus auf den Stichtag plus einem Finanzplan für die folgenden drei Wochen, in dem tagesgenau Ein- und Auszahlungen gegenüberstellt werden. Da sich hieraus – bei Ausschöpfung aller Mittel aus dem Cash-Pool – Unterdeckungen in Höhe von 44,3% und mehr ergeben haben, ist die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin am 31.12.2012 laut den Karlsruher Richtern ausreichend belegt.

Geschäftsführer haftet trotz Zuflüssen vom Masterkonto

Die Ersatzpflicht entfällt – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – auch nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F., soweit es Zuflüsse vom Masterkonto gab. Diese hätten nämlich nur ein Soll ausgeglichen, aber kein Guthaben gebildet. Die verteilungsfähige Vermögensmasse sei durch diese Überweisung nicht vermehrt worden. Der BGH hob das Urteil auf und verwies es zurück, damit sich das Oberlandesgericht mit den Einwänden des Geschäftsführers befassen kann.

BGH, Urteil vom 28.06.2022 - II ZR 112/21

Redaktion beck-aktuell, 1. August 2022.