Amokfahrt in Münster: Land NRW bekommt Opferentschädigungen nicht zurück
Gedenkstein vor dem Restaurant "Kiepenkerl" in Münster, © picture alliance/dpa | Friso Gentsch

Die Verkehrsopferhilfe muss nicht für die Entschädigungen an Opfer und Hinterbliebene der Amokfahrt von Münster im Jahr 2018 zahlen. Der nachrangig haftende Verein, der einspringt, wenn Opfer von Verkehrsunfällen sonst von nirgendwo Geld bekommen, könne in diesem Fall nicht in Anspruch genommen werden, so der BGH.

Der Verein Verkehrsopferhilfe e.V. dienst als Sicherheitsnetz für Unfallopfer. Der von den deutschen Kfz-Haftpflichtversicherern unterhaltene Verband leistet, wenn ansonsten keine Versicherung zahlt. So auch, wenn ein Auto als Waffe eingesetzt wird: Am 7. April 2018 war ein Mann mit seinem Kleinbus in Münster vorsätzlich in ein Restaurant gefahren, wobei er vier Menschen tötete und weitere 20 Personen teils schwer verletzte. Anschließend beging er Selbstmord.

Die Kfz-Haftpflichtversicherung berief sich auf § 103 VVG (Leistungsfreiheit wegen Vorsatz) und zahlte nicht. Allerdings sprang zunächst das Land Nordrhein-Westfalen ein. Es entschädigte die Verletzten und Hinterbliebenen im Umfang von mehr als 300.000 Euro nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Die Leistungen erfolgten im Rahmen einer Härtefallregelung, da das damals geltende Recht für Angriffe mit Kraftfahrzeugen noch keine regulären Entschädigungen vorsah. Doch NRW wollte das Geld zurück. 

Vor Gericht ging es dann um die Frage, ob die Verkehrsopferhilfe verpflichtet war, dem Land diese Aufwendungen zu erstatten. Der Verein berief sich – vor dem BGH nun letztlich erfolgreich – darauf, dass er nur nachrangig eintreten müsse. Bei der gezahlten Opferentschädigung nach OEG handele sich um vorrangige "Versorgungsbezüge" im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 3 Pflichtversicherungsgesetz (PflVG), die eine Erstattung durch den Verband ausschlössen. Nach der Vorschrift entfällt die Leistungspflicht der Verkehrsopferhilfe, wenn die Ersatzberechtigten Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung bekommen können, ein Sozialversicherungsträger zahlt oder Dienst- oder Amtsbezüge, Vergütung, Lohn oder Versorgungsbezüge den Schaden ausgleichen.  

Nur wesentlichste Lücken schließen

Der für das Verkehrsrecht zuständige VI. Zivilsenat des BGH teilte in einem jetzt veröffentlichten Urteil (vom 12.12.2023 – VI ZR 297/22) im Gegensatz zum OLG die Auffassung der Verkehrsopferhilfe, so dass das Land leer ausging: Mit dem Begriff "Versorgungsbezüge" seien nicht nur Leistungen des Dienstherrn gemeint, so der Senat. 

Schon vor Einführung des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG sei dieser Begriff weitergehend auch für Entschädigungsleistungen im Sinne des OEG verwendet worden. Die Karlsruher Richterinnen und Richter führten weiter aus: "Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG sprechen ebenfalls dafür, die im Streitfall auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes erbrachten Leistungen unter den Begriff der Versorgungsbezüge zu fassen. Grundgedanke der Subsidiaritätsregelung ist, dass der Entschädigungsfonds die wesentlichsten Lücken schließen soll, die nach Einführung der Pflichtversicherung im Schutz der Verkehrsopfer noch verblieben sind. Seiner Zweckbestimmung entsprechend soll der Entschädigungsfonds, anders als ein Haftpflichtversicherer, dem Geschädigten nur subsidiär leistungspflichtig sein, nämlich dann, wenn der Geschädigte von den in erster Linie in Betracht kommenden Leistungspflichtigen Ersatz seines Schadens nicht erlangen kann…". 

BGH -

Redaktion beck-aktuell, ns, 25. März 2024.