BGH bestätigt Amazons überragende marktübergreifende Bedeutung
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Der Kartellsenat des BGH hat am Dienstag die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Der Senat hat damit erstmals in erster und letzter Instanz über eine Beschwerde gegen eine Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB entschieden.

Amazon ist weltweit als führender Online-Händler bekannt, aber auch als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen tätig. Der Konzern war Ende 2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen Dollar das fünftwertvollste Unternehmen der Welt und erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von fast 470 Milliarden Dollar, davon rund 37,3 Milliarden Dollar in Deutschland.

Das Bundeskartellamt stellte mit Beschluss vom 5. Juli 2022 nach § 19a Abs. 1 GWB fest, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukomme. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet.

Die am 19. Januar 2021 in Kraft getretene Regelung des § 19a GWB sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Danach kann das Bundeskartellamt in einem ersten Schritt die überragende marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb feststellen und dem betroffenen Unternehmen in einem zweiten Schritt bestimmte Verhaltensweisen untersagen. So könnte es dem Online-Riesen etwa verbieten, eigene Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen.

Gegen diesen Beschluss des Bundeskartellamts gehen Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft vor. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon im September 2023 von der Europäischen Kommission als "Torwächter" (engl. Gatekeeper) im Sinne von Art. 3 Digital Markets Act (DMA) benannt.

Abstrakte Gefahr durch Marktmacht reicht

Der BGH (Beschluss vom 23.04.2024 - KVB 56/22 - Amazon) hat die Beschwerde des Konzerns zurückgewiesen und dessen überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne § 19a Abs. 1 GWB bestätigt. Die Vorschrift setze keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder bereits bestehende Wettbewerbsbeeinträchtigungen voraus. Es reiche schon, wenn das Unternehmen so große strategische und wettbewerbliche Möglichkeiten habe, dass der Wettbewerb abstrakt gefährdet sei. Das Bundeskartellamt solle, so der Kartellsenat, derart große Unternehmen effektiv kontrollieren können, schon bevor sie gegebenenfalls Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil verfälschen oder ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren übertragen. 

Das Bundeskartellamt hat nach Auffassung der Karlsruher Richter und Richterinnen zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern sei auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und habe eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Das Unternehmen verfüge zudem über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten.

GWB auch neben DMA anwendbar

Die inzwischen neben dem GWB geltenden Regelungen des DMA und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon ändern laut BGH nichts. § 19a Abs. 1 GWB sei eine Vorschrift des nationalen Wettbewerbsrechts, deren Anwendung neben dem DMA zulässig sei.

Da sich die Feststellungsverfügung nicht auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft beziehe, verstößt sie laut BGH auch nicht gegen das Verbot der Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat.

Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, begrüßte die Entscheidung: "Sie gibt uns Rückenwind für unsere laufenden Verfahren gegen Amazon, mit denen wir sicherstellen wollen, dass Händlerinnen und Händler auf dem Amazon Marktplatz fair behandelt werden." Das Urteil stärke auch die Position der Behörde in anderen laufenden Verfahren gegen weitere Internetkonzerne wie Alphabet (Google), Apple, Meta (Facebook) und Microsoft sowie für mögliche neue Verfahren. Ein Amazon-Sprecher erklärte, Amazon stimme der Entscheidung des Gerichts nicht zu und werde weitere Rechtsmittel prüfen. Der Einzelhandelsmarkt, online wie offline, sei sehr groß und ausgesprochen wettbewerbsintensiv.

BGH, Urteil vom 05.03.2024 - XI ZR 107/22

Redaktion beck-aktuell, jvh, 23. April 2024 (ergänzt durch Material der dpa).