Akteneinsicht im Abschiebungshaftverfahren

Überlässt ein Beschwerdegericht dem Anwalt eines Abschiebehäftlings die Akten nicht in dessen Kanzlei, kann der Gefangene dadurch in sei­nen Rech­ten ver­letzt sein. Laut Bundesgerichtshof wird ihm dadurch bei komplexen Sachverhalten, die sorgfältiges Aktenstudium erfordern, faktisch die Möglichkeit auf rechtliches Gehör entzogen. Gleichwohl sei eine vierwöchige Sicherungshaft zulässig, da der Betroffene trotz Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Deutschland eingereist sei.

Unerlaubte Einreise

Ein Türke, der bereits im September 2018 in sein Heimatland abgeschoben wurde, reiste Ende Juni 2020 - trotz Einreise- und Aufenthaltsverbots bis 23.03.2021 - wieder nach Deutschland ein. Tags darauf wurde er in der Wohnung seiner Eltern festgenommen. Das Amtsgericht Leverkusen ordnete die Abschiebungshaft an. Der Beschwerde des Gefangenen vom 05.07.2020 half es nicht ab und leitete auch den Antrag auf Akteneinsicht an das Landgericht Köln weiter. Dieses gewährte dem Anwalt des Manns die Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle, was dieser ablehnte. Die Beschwerde könne bis zum 17.07.2020 begründet werden. Die erneute Bitte, die Papiere ins Büro des Anwalts zu übersenden, lehnte es ab. Auch die Beschwerde wies es zurück, da die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft vorgelegen hätten. Am 05.08.2020 kehrte der Mann freiwillig in die Türkei zurück. Er erhob die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof - ohne Erfolg.

Grenzen des Ermessens wurden überschritten

Dem stimmte der BGH im Ergebnis zu. Zugleich monierte er, dass der Anwalt angesichts der Weigerung des Gerichts, ihm die Akten zu überlassen, keine zumutbare Möglichkeit hatte, sich mit der Sache zu befassen. Zwar habe nach § 13 Abs. 4 Satz 1 FamFG auch ein Anwalt keinen Anspruch auf Überlassung der Verfahrens- und der Ausländerakten in seine Kanzlei. Vielmehr stehe es im Ermessen des Gerichts, ob es eine Aktenüberlassung gestatte. Aus Sicht des XIII. Zivilsenats hat das LG bei seiner Entscheidung die Grenzen seines Ermessens überschritten. Es wäre ermessensgerecht gewesen, dem Antrag des Juristen auf Überlassung von Verfahrens- und Sachakten zu entsprechen, da es die zeitlichen Umstände erlaubt und weder akten- noch personenbezogene wichtige Gründe dem entgegenstanden hätten. Die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften rechtfertigten mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch eine inzidente Prüfung im Rechtsmittelverfahren. Gleichwohl habe der Anordnung ein zulässiger Haftantrag der Behörde zugrunde gelegen. Für die Einschätzung der Vorinstanzen, mildere Mittel genügten zur Sicherung der Abschiebung nicht, spreche insoweit, dass der Betroffene trotz des bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Deutschland eingereist sei.

BGH, Beschluss vom 22.06.2021 - XIII ZB 59/20

Redaktion beck-aktuell, 9. September 2021.