OLG war von "Ausforschungsbeweis" ausgegangen – BGH widerspricht
Im zugrunde liegenden Fall habe das OLG Celle ein vom klagenden Verbraucher angeregtes Gutachten als "Ausforschungsbeweis" abgelehnt, berichten die Anwälte. Der Kläger, so das OLG, argumentiere "ins Blaue" hinein und gebe sich Spekulationen hin. Der BGH habe dem OLG Celle widersprochen und dessen Vorgehensweise als Verfahrensfehler gewertet. Der Kläger könne keine genauen Sachkenntnisse darüber haben, wie der streitgegenständliche Motor mit seinem Abgaskontrollsystem funktioniere. Er habe jedoch genügend Anhaltspunkte vorgetragen, die ein Sachverständigengutachten rechtfertigten und auf die er letztlich seinen Vorwurf stütze, sein Fahrzeug sei in zweifacher Hinsicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ausgestattet.
BGH: Genügend Anhaltspunkte für Sachmangel gegeben
Auch sei der Motor vom Typ OM 651 in anderen Daimler-Fahrzeugen verbaut worden, die dann vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verpflichtend zurückgerufen worden seien, habe der BGH argumentiert. Zudem liefen bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Einzelpersonen der Daimler AG Ermittlungen, bei denen es auch um den Motor OM 651 gehe. Für den BGH seien das in der Summe hinreichend greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Sachmangels, so die Kanzlei in ihrer Mitteilung weiter.
BGH: Mangel auch schon vor Rückruf durch KBA
Der BGH beziehe sich in seinem Beschluss auch ausdrücklich auf den Hinweisbeschluss des BGH vom 08.01.2019 (NJW 2019, 1133). Ein Mangel liege nicht erst dann vor, wenn das KBA einen Rückruf angeordnet habe, "sondern auch schon dann, wenn diese Behörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht getroffen hat. Denn auch dann ist im Ansatz bereits ein Sachverhalt ("Mangelanlage"/Grundmangel) gegeben, der – gegebenenfalls mit weiteren Umständen – dazu führen kann, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung vornimmt, weil das Fahrzeug wegen einer gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht."
Klägervertreter halten Beschluss für wegweisend
Die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hält den Beschluss für wegweisend. Er könne zur Folge haben, dass in Diesel-Verfahren vermehrt Gutachten eingeholt werden müssen, um die Vorwürfe der Verbraucher gegen die Daimler AG zu überprüfen. Der Autobauer stehe unter Verdacht, seine Motoren so manipuliert zu haben, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nicht mehr eingehalten werden. "Dieser Beschluss ist ein Paukenschlag im Daimler-Abgasskandal" sagte auch Rechtsanwalt Lars Murken-Flato von HAHN Rechtsanwälte, die ebenfalls zahlreiche Daimler-Kläger vor Gericht vertreten. Der Praxis einiger Gerichte, Klagen wegen eines angeblich unzureichenden Vortrags abzuweisen, werde ein Riegel vorgeschoben. "Die Erfolgsaussichten der betroffenen Kunden haben sich entscheidend verbessert", meint Murken-Flato.