AdBlocker: Blocker oder Chance für das Urheberrecht?
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Seit Jahren versucht das Verlagshaus Axel Springer, den Einsatz sogenannter Adblocker gerichtlich zu verbieten. Nun liegt der Streit in Karlsruhe und gilt unter Urheberrechtlern als richtungsweisend. Christian Czychowski erklärt, worum es geht.

Am Donnerstag steht eine mündliche Verhandlung des BGH an, die in Urheberrechtskreisen mit großer Spannung erwartet wird. Der I. Zivilsenat verhandelt einen inzwischen seit Jahren schwelenden Rechtsstreit zwischen dem Verlagshaus Axel Springer und einer Kölner Software-Firma über die urheberrechtliche Bewertung von sogenannten Adblockern, zu Deutsch: Werbeblockern (Az.: I ZR 131/23). 

Dabei geht es diesmal nicht um deren (wettbewerbsrechtliche) Zulässigkeit an sich, sondern um die Frage, ob durch den Einsatz von Adblockern das Urheberrecht an einer Software verletzt werden kann. Denn Werbeblocker sind mittlerweile in der Regel Computerprogramme, die auf z.B. Websites einwirken, damit die dort sonst enthaltene Werbung dem Nutzer bzw. der Nutzerin nicht angezeigt wird.

Das klingt auf den ersten Blick sehr speziell – ist es aber nicht. Es geht im Grunde genommen um eine der grundlegendsten urheberrechtlichen Fragen, nämlich, ob eine Urheberrechtsverletzung auch vorliegen kann, wenn man den eigentlich urheberrechtlich geschützten "Gegenstand" (bei Software: den Code) gar nicht "anfasst".

Die Frage hat der BGH schon einmal für das "klassische" Urheberrecht entschieden, nämlich für ein Gemälde von Friedensreich Hundertwasser. Dessen Urheberrecht kann auch verletzt sein, wenn das Gemälde nicht verändert wird, aber ein Rahmen, in dem das Gemälde gerahmt wurde, das Gemälde gewissermaßen über seine Ränder hinweg künstlerisch fortsetzt. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass es viele Jahre kaum Entscheidungen zu der Frage gab, unter welchen Umständen eine Bearbeitung bei Computerprogrammen vorliegt, kann man ermessen, wie wichtig die kommende Entscheidung des BGH ist. Zum Glück hat der BGH im Moment nicht nur diese Frage zu entscheiden, sondern erst vor Kurzem eine sehr ähnliche Frage bei Computerspielen dem EuGH vorgelegt.

Gibt es ein Urheberrecht an einer Website?

Worum aber geht es in der hiesigen Konstellation? AdBlocker sind schon lange Gegenstand verschiedener gerichtlicher Entscheidungen, vornehmlich allerdings aus dem Wettbewerbsrecht. Auch im vorliegenden Fall gab es zunächst ein wettbewerbsrechtliches Verfahren. 

Seit etlichen Jahren werden sogenannte Werbeblocker angeboten und das nicht nur für Fernsehprogramme, sondern auch für Internet-Seiten. Mit diesen sollen Nutzerinnen und Nutzer bei entsprechendem Wunsch in der Lage sein, sich eine Internet-Seite so weit wie möglich ohne Werbebanner und Werbeeinblendungen anschauen zu können. Das geschieht mittels verschiedener Technologien. Im vorliegenden Fall vertrieb die Kölner Firma ein sogenanntes Browser-Plugin. Mit einem solchen Plugin installiert man ein kleines Computerprogramm, das über den Browser funktioniert und mittels sogenannter Backlists bestimmte Serverpfade identifiziert. Dies führt dann dazu, dass die dort abrufbare Werbung, die in die Website eingebunden würde, dem jeweiligen Nutzer bzw. der Nutzerin des Plugins nicht angezeigt wird. 

Axel Springer wehrt sich juristisch seit langem gegen den Vertrieb solcher Adblocker, da das Verlagshaus um seine Werbe-Einnahmen über Online-Medien wie "Bild.de" fürchtet. Dabei verlor das Verlagshaus im hiesigen Verfahren sowohl in erster als auch in zweiter Instanz. Das OLG Hamburg, das die Berufung  gegen das abweisende landgerichtliche Urteil als unbegründet zurückwies, setzte sich dabei mit folgenden urheberrechtlichen Fragestellungen auseinander: (1) Ist die von "Werbung befreite" Website von Springer überhaupt ein urheberrechtlich schutzfähiges Computerprogramm? (2) Hat das Verlagshaus an diesen Computerprogrammen urheberrechtliche Nutzungsrechte und ist damit aktiv legitimiert? (3) Ist das Software-Unternehmen, gemeinsam mit den jeweiligen Nutzerinnen und Nutzern des Plugins, Mittäter einer Urheberrechtsverletzung durch Vervielfältigung (§ 69 c Nr. 1 UrhG) oder Umarbeitung (§ 69c Nr. 2 UrhG)?

"Schlichte Einwilligung" in die Nutzung eines Adblockers?

Die ersten beiden Fragen lässt das OLG dahinstehen, äußert allerdings Zweifel an der Schutzfähigkeit der Website als Computerprogramm. Dabei stellt es darauf ab, ob in die Website eingebundene von ihm sogenannte Softwarebestandteile wie Java Applets und PHP-Code eine Website insgesamt zu einem Computerprogramm machen könnten. Es formuliert dann den Satz, dass es dafür darauf ankommt, ob diese Softwarebestandteile "prägend für den Quellcode der Webseiten sind".

Den Kern des Urteils bildet allerdings die Auseinandersetzung mit der Frage, ob in dem Einsatz des AdBlockers eine unberechtigte Vervielfältigung oder Umarbeitung der Website liegt. Zur Vervielfältigung stellt das OLG auf die Rechtsprechung des BGH zur "schlichten Einwilligung" ab und argumentiert, dass die bloße Nutzung des freien Angebots von Springer zwangsläufig mit einer Vervielfältigung im Arbeitssprecher einhergehe und daher jedenfalls von einer solchen "schlichten Einwilligung" gedeckt sei.

Ausführlicher setzt sich das Gericht dann mit der Frage der Umarbeitung nach § 69c Nr. 2 UrhG auseinander und kommt im Ergebnis dazu, dass eine Änderung der Programmsubstanz erforderlich sei, um eine Umarbeitung anzunehmen. Demgegenüber seien bloße Auswirkungen auf die Datenstruktur keine Umarbeitung, sondern eine bestimmungsgemäße Benutzung im Sinne des § 69d Abs. 1 UrhG

Zu guter Letzt prüft das OLG noch, ob der Gesamteindruck der Website (es spricht von einer "Oberflächengestaltung") als Multimediawerk urheberrechtlich schutzfähig ist, verneint dies aber.

Das klassische Prüfschema des Urheberrechts passt nicht ganz

Es wird sehr spannend sein zu sehen, wie sich der BGH mit dieser Entscheidung auseinandersetzt. Denn an der Entscheidung wird sich exemplarisch zeigen, ob und wenn ja, wie schwer die Rechtsprechung sich immer noch mit der Einordnung von Computerprogrammen in das althergebrachte urheberrechtliche Prüfschema tut. Computerprogramme unterscheiden sich von anderen urheberrechtlichen Werken zunächst einmal schlichtweg dadurch wesentlich, dass es einen klassischen Werkgenuss, wie wir ihn beim Anschauen eines Gemäldes oder Lesen einer Zeitung kennen, so bei Computerprogrammen nicht gibt. Der Werkgenuss bei Computerprogrammen ist das Ablaufenlassen und das Nutzen der Funktionalitäten. Letztere aber sind gerade nicht urheberrechtlich schutzfähig. 

Eigentlicher Sinn eines Computerprogramms sind aber dessen Funktionalitäten. Computerprogramme sind daher in besonderem Maße und weit mehr als andere Werkgattungen auf die Anwendung im täglichen Gebrauch gerichtet. Die Bedeutung solcher Funktionalitäten ist aber anderen Werkgattungen eher fremd. Die Historie des kontinentaleuropäischen Urheberrechts mit ihrem persönlichkeitsrechtlich entwickelten Schutzkonzept passt dazu kaum.

Hält die Rechtsprechung mit der Software-Entwicklung Schritt?

Es bleibt zu hoffen, dass der BGH – und dann vielleicht auch nach einer weiteren Vorlageentscheidung der EuGH – die Gelegenheit nutzen wird, das diffizile Verhältnis zwischen Schutzbereich, Besonderheiten bei Computerprogrammen und Eingriffen in den Schutzbereich neu auszutarieren. Der EuGH hat bislang mit der Entscheidung "BSA/Kulturministerium" sowie vor allen Dingen der Entscheidung "SAS-Institut" bereits eine Linie vorgegeben, die die Funktionalität von Computerprogrammen zentral in den Blick nimmt.

Es wäre wünschenswert, wenn auch die hier besprochene Fallkonstellation ihren Weg nach Luxemburg findet und damit die o.g. Rechtsprechung fortentwickelt werden kann. Wie wichtig das ist, zeigen die vielfältigen neuen Fragen, die uns allen rund um Softwaretechnologie und Urheberrecht, nicht zuletzt bei Big Data und Künstlicher Intelligenz, noch bevorstehen. Da täte es gut, hätten wir wenigstens die Hausaufgaben zu den alten Fragen erledigt.

Dr. Christian Czychowski ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, sowie für IT-Recht und Partner bei der Kanzlei NORDEMANN in Berlin. Dort berät er nationale und internationale Unternehmen u.a. in technikbezogenen Fragen des Urheberrechts, insbesondere dem Softwareurheberrecht. Er ist zudem Mitherausgeber des Urheberrechtskommentars Fromm/Nordemann, wie auch Mitherausgeber des Czychowski/Lettl/Steinrötter, Kommentar zum Data Act, der noch dieses Jahr im Beck Verlag erscheinen wird.

Gastbeitrag von Dr. Christian Czychowski, 24. Juli 2024.