Abgasskandal: Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche beginnt spätestens Ende 2016
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Die Verjährungsfrist für einen Schadenersatzanspruch wegen des Kaufs eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Audi-Neuwagens beginnt spätestens mit dem Schluss des Jahres 2016. Bis zu diesem Zeitpunkt habe spätestens Anlass bestanden, zu prüfen, ob der eigene Pkw betroffen ist, so der Bundesgerichtshof. Auch einem Herausgabeanspruch nach Eintritt der Verjährung erteilte das Gericht eine Absage. VW habe mit dem Verkauf des Neuwagens nichts auf Kosten des Käufers erlangt.

Klage erst in 2020 – Kenntnis von Betroffenheit erst in 2017

Mit ihrer im Jahr 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises für einen im Dezember 2011 bei einem Autohändler als Neuwagen zum Preis von 54.000 Euro erworben Pkw abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt. Sie hat behauptet, erst durch ein Schreiben der AUDI AG im Januar 2017 von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Abgasskandal erfahren zu haben. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben - zunächst ohne Erfolg. Nun hat der BGH auf die Revision des Beklagten hin die Klage insgesamt abgewiesen.

Grob fahrlässige Unkenntnis von Betroffenheit spätestens Ende 2016

Der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB sei verjährt. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, die Klägerin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Ausgehend von ihrer – außer Streit stehenden – allgemeinen Kenntnis vom Dieselskandal habe die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Veranlassung gehabt, die Betroffenheit ihres Fahrzeugs zu ermitteln. Dass die Klägerin nach einer allgemeinen Ankündigung der Beklagten, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen haben will, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten, habe kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf begründet, ihr Fahrzeug sei nicht betroffen. Spätestens bis Ende 2016 hätte für die Klägerin Anlass bestanden, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, wertet der BGH grob fahrlässig. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe daher mit Schluss des Jahres 2016 zu laufen begonnen und habe durch die im Jahr 2020 erhobene Klage nicht mehr gehemmt werden können.

Auch kein Anspruch auf Restschadenersatz

Ein Anspruch auf Restschadenersatz nach § 852 Satz 1 BGB scheitere daran, dass die Beklagte im Verhältnis zum Geschädigten nichts aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat. In der vorliegenden Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem von der Beklagten hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheide ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB regelmäßig auch dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat. Denn in diesen Fällen habe die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde.

Kein wirtschaftlicher Vorteil für VW durch Pkw-Kauf

Der schadensauslösende Vertragsschluss über den Fahrzeugerwerb zwischen Geschädigtem und Fahrzeughändler einerseits sowie ein möglicher Vorteil der Beklagten aus der konzerninternen Überlassung des Fahrzeugmotors an den Fahrzeughersteller andererseits beruhten gerade nicht auf derselben – auch nicht nur mittelbaren – Vermögensverschiebung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB voraussetzt. Dem Motorhersteller, der einen Vorteil bereits mit der Herstellung und Veräußerung des Motors realisiert hat, fließe im Zusammenhang mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags und dem hierauf beruhenden Vermögensschaden des geschädigten Fahrzeugerwerbers durch seine (des Motorherstellers) unerlaubte Handlung nichts – mehr – zu.

Keine divergierende Rechtsprechung verschiedener BGH-Senate

Entgegen Einschätzung der Beklagten liege in den in zu Gebrauchtwagen ergangenen Urteilen des VII. Zivilsenats vom 10.02.2022 verwendeten Begriffen eines "etwaigen" Vorteils beziehungsweise "etwaigen" Verkäufergewinns keine Abweichung von der Rechtsprechung des eigens für Dieselklagen eingerichteten VIa. Zivilsenats des BGH zur Anwendung von § 852 Satz 1 BGB auf Neuwagenfälle, die der VII. Zivilsenat vielmehr inhaltlich teile. Die betreffenden sprachlichen Einschränkungen seien, wie sich bereits aus dem Gesamtzusammenhang der jeweiligen Entscheidungsgründe ohne Weiteres erschließt, ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass das tatsächliche Vorhandensein eines "Gewinns" oder "Vorteils" mangels Entscheidungserheblichkeit jeweils dahinstehen kann beziehungsweise konnte.

Motorhersteller erlangt nichts auf Kosten des Kfz-Käufers

Dass im Ausgangspunkt auch eine deliktische Haftung des Motorherstellers gegenüber dem Fahrzeugerwerber in Betracht zu ziehen ist, wenn der Motorhersteller den Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausstattet und in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von seiner Tochtergesellschaft in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird, stehe nicht entgegen, so der BGH. Denn die deliktische Haftung knüpfe in diesen Fällen daran an, dass der Motorhersteller sich bereits bei der dem Fahrzeugerwerb vorgelagerten Herstellung des Motors und der Programmierung der Motorsteuerungssoftware die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer in die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zunutze gemacht hat. Diese Tatbestandsvoraussetzung der Schadenersatzhaftung sei jedoch von der Frage zu trennen, ob der Schädiger durch die unerlaubte Handlung selbst etwas im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf Kosten des Geschädigten erlangt hat.

Wirtschaftliche Verflechtung VWs mit Fahrzeugherstellerin irrelevant

Auch der Umstand, dass die beklagte Motorherstellerin als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin mit dieser wirtschaftlich verflochten ist, führe zu keiner anderen Beurteilung. Der Umsatzerlös der Tochtergesellschaft aus dem Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs begründe weder unmittelbar noch mittelbar einen damit deckungsgleichen Wertzuwachs des Geschäftsanteils der Muttergesellschaft. Dass nach dem Vortrag der Klägerin zwischen der Beklagten und der Fahrzeugherstellerin ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht, sei ebenfalls unerheblich. Denn insoweit habe die Beklagte allenfalls einen Vorteil im Zusammenhang mit einem etwaigen Gesamtgewinn der Fahrzeugherstellerin im Geschäftsjahr 2011 erzielt, nicht jedoch – worauf es im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB entscheidend ankommt – konkret im Zusammenhang mit dem – im Streitfall an den Fahrzeughändler – gezahlten Kaufpreis.

BGH konnte selbst entscheiden

Das angefochtene Urteil konnte laut BGH daher keinen Bestand haben. Er habe in der Sache selbst entscheiden können, da weitere tatsächliche Feststellungen, die für die jedenfalls Ende 2016 vorliegende grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs oder die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bedeutsam sein könnten, weder erforderlich noch zu erwarten waren.

BGH, Urteil vom 14.07.2022 - VII ZR 422/21

Redaktion beck-aktuell, 14. Juli 2022.