Auf der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft wurde nach § 147 Abs. 2 S. 1 AktG ein besonderer Vertreter bestellt, um wegen zu Unrecht ausgeschütteter Dividenden Ersatzansprüche gegen zwei Aktionäre und Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat geltend zu machen. Der besondere Vertreter beauftragte für die Klage eine Anwaltskanzlei. Die Klage scheiterte dann in zwei Instanzen, weil die Gerichte die Bestellung des besonderen Vertreters für nichtig erachteten. Der Anwalt legte sein Amt nieder, das Urteil des Berufungsgerichts wurde rechtskräftig.
Anschließend verklagte die Kanzlei die Aktiengesellschaft auf Zahlung ihres restlichen Anwaltshonorars sowie aus abgetretenem Recht auf das des besonderen Vertreters. Die Aktiengesellschaft wiederum nahm den besonderen Vertreter per Drittwiderklage auf Ersatz der Prozesskosten in Anspruch. In erster und zweiter Instanz hatten sowohl die Klage als auch die Drittwiderklage weitgehend Erfolg.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts ging unter anderem die AG beim BGH in Revision – ohne Erfolg (Urteil vom 17.09.2024 – II ZR 221/21). Der BGH bestätigte einen Resthonoraranspruch der Kanzlei. Danach hatte die Hauptversammlung den besonderen Vertreter zwar nicht wirksam bestellt, weil die Geltendmachungsbeschlüsse nichtig gewesen seien und damit auch die Bestellungsbeschlüsse, denen die Grundlage gefehlt habe. Denn die Hauptversammlung habe mit den Geltendmachungsbeschlüssen ihre Kompetenz überschritten.
Nach § 147 Abs. 1 S. 1 AktG kann die Hauptversammlung die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der AG beschließen, unter anderem Ansprüche aus der Organhaftung gegen Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats und aus § 117 AktG. Laut BGH umfasst die Befugnis aus § 147 Abs. 1 S. 1 AktG aber nicht die Verfolgung von Ansprüchen gegen Aktionäre wegen unberechtigter Dividendenzahlungen aus § 62 Abs. 1 S. 1 AktG und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 20 Abs. 1 AktG. Die Regelung sei als Ausnahme von der aktienrechtlichen Kompetenzordnung eng auszulegen. Folge der Kompetenzüberschreitung sei, dass die Geltendmachungsbeschlüsse nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig und nicht bloß anfechtbar waren – nach § 139 BGB hier die gesamten Geltendmachungsbeschlüsse.
Grundsätze der fehlerhaften Organbestellung anzuwenden
Zwischen der AG und der Kanzlei sei aber trotzdem wirksam ein Anwaltsvertrag geschlossen worden. Anders als das Berufungsgericht stützt sich der BGH aber nicht auf Rechtsscheingrundsätze, sondern wendet die Grundsätze der fehlerhaften Organbestellung an. Er bekräftigt seine Rechtsprechung, wonach diese Grundsätze auf den besonderen Vertreter anwendbar sind mit der Folge, dass Rechtshandlungen, die dieser bis zu seiner Abberufung vorgenommen hat, trotz Nichtigkeit der Bestellung für die AG wirksam sind. Dabei unterstreicht er in seiner aktuellen Entscheidung, dass dies, anders als zum Teil in der Literatur vertreten, auch für Handlungen im Außenverhältnis gelte.
Laut BGH ist die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Organbestellung auch nicht ausnahmsweise ausgeschlossen, auch nicht aufgrund eines vorrangigen Allgemeininteresses. Ein solches sei nicht schon deswegen anzunehmen, weil der Bestellung wegen nichtiger Geltendmachungsbeschlüsse von Anfang an die Grundlage fehlte. Vielmehr sei eine Prüfung im Einzelfall erforderlich. Der Rechtsverkehr erwarte aber gerade, dass der von der Hauptversammlung bestellte besondere Vertreter in seinem Aufgabenbereich für die Gesellschaft handeln kann. Das zeigt sich laut BGH deutlich daran, dass jene, die eine Anwendbarkeit der Grundsätze der fehlerhaften Organbestellung ablehnen, auf die Hilfskonstruktion der Rechtsscheinlehre zurückgreifen müssten.
Der BGH hat zudem entschieden, dass der AG-Vorstand die fehlerhafte Bestellung eines besonderen Vertreters grundsätzlich nicht durch einseitige Erklärung beenden kann.
Die Revisionen der Kanzlei und des besonderen Vertreters hatten hingegen (teilweise) Erfolg und führten zur teilweisen Aufhebung des OLG-Urteils und Zurückverweisung.