Selbstjustiz gegoogelt: Keine Tat im Affekt?

Das LG hatte die Tötung eines ehemaligen Jugendtrainers als Affekttat eingestuft, da dieser zuvor einen sexuellen Missbrauch zugegeben habe. Der BGH findet, dass das LG Hinweise für eine geplante Tat, wie Google-Recherchen zu Selbstjustiz und Tötungsmethoden, nicht ausreichend gewürdigt hat.

Vierundzwanzig Jahre, nachdem er von seinem Fußballtrainer sexuell missbraucht worden war, tötete ein Mann seinen damaligen Peiniger mit fünf Axthieben auf den Kopf. Dem LG Zwickau stellte sich die schwierige Aufgabe, zu bewerten, ob er heimtückisch und aus niederen Beweggründen handelte oder nicht: Der ehemalige Fußballspieler hatte 2011 einen Autounfall erlitten, der zur Folge hatte, dass er sich nicht deutlich an den Missbrauch und an den Täter erinnern konnte. Er träumte nur davon. Deswegen recherchierte er Monate vor der Tat ausführlich im Internet Kindesmissbrauch und suchte engagiert nach Möglichkeiten, weitere Opfer zu verhindern.

Gleichzeitig googelte er aber auch zu Selbstjustiz, Rizin, K.O.-Tropfen und tödlichem Gift. Schließlich suchte er den Namen seines ehemaligen Trainers, weil ihm zu Ohren gekommen war, dass dieser gerade eine Freiheitsstrafe mit einem pädophilem Hintergrund abgesessen hatte. Sein Verdacht gegen diesen bestätigte sich, als der Mann bei einem persönlichen Treffen beschämt seine Schuld eingestand und erklärte, er sei wieder als Jugendtrainer tätig.

Diese Entschuldigung löste zunächst eine Panikattacke aus. Das Missbrauchsopfer verließ den Ort des Treffens, sah draußen seine Axt und tötete den Mann damit. Das LG befand auf Totschlag und verurteilte ihn zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe mit Blick auf eine erheblich verringerte Schuldfähigkeit. Die Revision der Staatsanwaltschaft vor dem BGH (Urteil vom 19.12.2024 - 5 StR 588/24) war erfolgreich.

Lückenhafte Beweiswürdigung

Der BGH bemängelte, dass das LG zwar alle maßgeblichen Anhaltspunkte hinsichtlich der Tatplanung einzeln gewürdigt hatte, aber die einzelnen Aspekte nicht zusammengesetzt hatte. Erst wenn alle Indizien zueinander in Beziehung gesetzt würden, erlangten sie ihre relevante Beweisbedeutung. Die isolierte Betrachtung könne zu einem anderen Ergebnis gelangen als die Gesamtschau. Das Urteil beruhe auch auf diesem Fehler.

Außerdem entdeckte der BGH noch Widersprüche in der Verwertung der Sachverständigengutachten und einen Rechtsfehler bei der Ablehnung des Mordmerkmals Heimtücke: Es komme nicht darauf an, ob der Täter ein arg- und wehrloses Opfer töten wolle, wie es das LG für maßgeblich gehalten habe. Vielmehr sei entscheidend, ob er die Wahrnehmung der Situation durch das Opfers richtig einschätzen könne und in diesem Bewusstsein handele. Könne der Täter verstehen, dass er sich falsch verhalte, könne er in der Regel auch einschätzen, ob das Opfer mit einem Angriff rechne.

Da sowohl der Schuldspruch als auch die Feststellungen des Urteils aufgehoben wurden, wird das LG Zwickau den Fall vollständig neu aufrollen müssen.

BGH, Urteil vom 19.12.2024 - 5 StR 588/24

Redaktion beck-aktuell, rw, 21. Januar 2025.