Nach tödlicher Narkose: Verurteilter Anästhesist darf hoffen, Zahnärztin muss zittern

Ein Angstpatient starb nach einer mehr als 8-stündigen Zahn-Behandlung unter Vollnarkose. Dem wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilten Anästhesisten machte der BGH nun Hoffnung auf eine geringere Strafe, die Zahnärztin dagegen muss um ihren Freispruch bangen.

Im Mai 2016 erschien ein 18-Jähriger bei der angeklagten Zahnärztin. Wegen starker Angst vor dem Zahnarzt hatte er sich über Jahre nicht behandeln lassen und litt nun unter ständigen Schmerzen wegen stark kariöser Zähne. Eine umfangreiche achtstündige Zahnsanierung, die unter Vollnarkose durchgeführt werden sollte, war die Folge. Die Zahnärztin engagierte einen Anästhesisten, der den Patienten allerdings nicht darüber aufklärte, dass weder seine medizinische Ausstattung den Mindestanforderungen der ärztlichen Leitlinien entsprach, noch darüber, dass er, ebenfalls entgegen den Leitlinien, kein begleitendes Personal einsetzen würde.

Die Behandlung begann morgens um 9:00 Uhr und erwies sich als umfangreicher als gedacht. Um circa 17:30 Uhr stellte der Anästhesist erstmals eine abfallende Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz bei dem Patienten fest. Im Verlauf der Behandlung verschlechterten sich die Werte des Patienten weiter bis die Zahnärztin um 18:10 Uhr den Notruf wählte. Erst die eintreffenden Sanitäter schlossen den Patienten an ein EKG-Gerät an und stellten ein Herz-Kreislauf-Versagen fest. Der Patient verstarb noch am selben Abend im Krankenhaus.

Zusammenhang zwischen Narkose und Tod gegeben

Das LG Hamburg hatte den An­äs­the­sisten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Frei­heits­stra­fe von einem Jahr und sechs Mo­na­ten auf Be­wäh­rung ver­ur­teilt und die Zahn­ärz­tin frei­ge­spro­chen. Nach Überzeugung des Gerichts war der junge Mann durch die Narkose verstorben. Dem Anästhesisten sei bewusst gewesen, dass seine Behandlung standardwidrig war. Darüber habe er den 18-jährigen nicht aufgeklärt. Es sei vorhersehbar gewesen, dass sich die typischen Risiken einer Vollnarkose erfüllen und zum Versterben des Patienten führen könnten. Im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten sei er allerdings davon ausgegangen, dass er dies vermeiden könne. Die Zahnärztin hingegen habe die Standardwidrigkeit der Behandlung nicht erkannt und auf den Anästhesisten vertraut.

Der Anästhesist habe den Patienten nicht ausreichend aufgeklärt, sodass dieser nicht in die Körperverletzung einwilligen konnte. Den erforderlichen Zusammenhang zwischen der Körperverletzung und der Todesfolge hatte das LG auch bejaht. Der Auftritt eines Lungenödems stelle eine spezifische Gefahr einer Vollnarkose dar.

Revision in beiden Fällen erfolgreich

Der BGH hat das Urteil gegen den Anästhesisten im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben (Urteil vom 13. August 2025 - 5 StR 55/25). Zur Begründung führte der Senat an, das LG habe einen Verbotsirrtum des Anästhesisten gemäß § 17 StGB zwar für möglich gehalten, habe aber nicht die damit eröffnete Möglichkeit einer Strafmilderung erörtert. Auch habe das LG nicht ausreichend geprüft, ob dem Mann eine Kompensation wegen einer möglichen rechtswidrigen Verfahrensverzögerung zustehen könne.

Auch den Freispruch für die Zahnärztin hob der BGH auf. Das LG hatte angeführt, die Frau habe darauf vertrauen dürfen, dass der Anästhesist die Narkose ordnungsgemäß durchführen wird. Dabei habe das Gericht allerdings nicht bedacht, dass die Narkose für eine außerordentlich lange Dauer geplant war und diese Planung zudem auf unsicherer Grundlage entstanden war. Der Patient hatte sich zuvor gar nicht ausreichend untersuchen lassen, um den genauen Umfang der Behandlungsdauer korrekt einschätzen zu können. Das LG hätte daher genauer untersuchen müssen, ob die Zahnärztin nach der Überschreitung der geplanten Behandlungsdauer den Anästhesisten ausreichend gut informiert hat.

Gegen beide Angeklagte muss daher neu verhandelt werden. Beim Anästhesisten geht es allerdings nur um die Strafzumessung und die Frage der Kompensation.

BGH, Urteil vom 13.08.2025 - 5 StR 55/25

Redaktion beck-aktuell, kw, 14. August 2025.

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