Der Kommunikationsanbieter EncroChat bot viele Jahre sogenannte Kryptohandys an. Dabei handelte sich um abhörsichere Mobiltelefone. Der unter anderem wegen Cannabis-Handel Angeklagte hatte ein solches Kryptohandy für seine illegalen Geschäfte benutzt. Französischen Ermittlungsbehörden gelang es 2020, in das EncroChat-Netzwerk einzudringen und Spyware auf den Endgeräten zu installieren. Frankreich leitete die in der Folge erhobenen Daten an deutsche Behörden weiter. Sie fanden ihren Weg in die Hauptverhandlung gegen den Cannabishändler, wurden vom LG Berlin I aber nicht mehr als Beweismittel verwertet, der Mann wurde freigesprochen.
Hintergrund war, dass die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes nicht mehr als Verbrechen, sondern nur noch als Vergehen einzustufen ist. Nach dem Grundsatz des Vorrangs milderen Rechts (§ 2 Abs. 3 StGB) ist in vor dem 1. April 2024 begangenen "Alt"-Fällen des Cannabishandels (zumeist) das neue Recht als milderes Recht anzuwenden. Das LG hielt ein Vergehen für nicht ausreichend, um eine gravierende Ermittlungsmaßnahme wie eine Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) zu rechtfertigen.
In einer Grundsatzentscheidung (Az.: 5 StR 457/21) hatte der 5. Strafsenat des BGH im März 2022 die Verwertbarkeit der "EncroChat"-Daten bei einer Verurteilung wegen erheblichen Drogenhandels nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG unter anderem damit begründet, dass dieser als besonders schwere Straftat im Katalog des § 100b Abs. 2 StPO enthalten sei. Dies sei bei Straftaten des Cannabishandels nach § 34 Abs. 1, 3 KCanG nicht mehr der Fall. Daraus hatten einige Oberlandesgerichte abgeleitet, die Daten seien nunmehr in Fällen des Cannabishandels unverwertbar. Auf eine solche Entscheidung hatte sich auch das LG bei seinem Freispruch bezogen.
Daten verwertbar – BGH hebt Freispruch auf
Der BGH hat den Freispruch auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben. Der genannten Gesetzesänderung schreibt er in Fällen wie dem vorliegenden keine Bedeutung für die Verwertbarkeit der "EncroChat"-Daten zu.
Rechtsgrundlage für die Verwertung solcher Daten in der Hauptverhandlung sei § 261 StPO – auch wenn sie von anderen europäischen Staaten zu Zwecken der Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werden. Im deutschen Recht gebe es keine ausdrücklichen Verwendungsbeschränkungen für solche Daten, hält der BGH fest und ergänzt, dass ein Verwertungsverbot außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Dafür müssten die Daten unrechtmäßig erlangt worden sein.
Dazu habe der EuGH (Urteil vom 30.4.2024 – C-670/22) vor knapp einem Jahr geklärt, dass die vom BGH in "EncroChat"-Fällen vor allem auf den Zeitpunkt der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Maßstäbe für besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe (vgl. § 100e Abs. 6 StPO) bereits bei der Beweisübermittlung vorzunehmen ist. Zudem weist der BGH darauf hin, dass das BVerfG die Heranziehung der strafprozessual restriktivsten Verwendungsschranke in den "EncroChat"-Fällen für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet hat (Beschluss vom 01.11.2024 – 2 BvR 684/22).
Maßgeblich für die rechtmäßige Datenübermittlung sei der Rechtszustand bei Datenanforderung. Das sei hier das Jahr 2020 gewesen. Damals seien die angeklagten Taten als Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar gewesen. Die Daten seien nach den bisherigen Maßstäben des BGH also rechtmäßig von Frankreich nach Deutschland übermittelt worden. Laut BGH gilt in solchen Fällen schon nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass eine Änderung der rechtlichen Bewertung einer Tat im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht zu einer Unverwertbarkeit rechtmäßig erlangter Daten führt. Hinzu kommt für die Bundesrichter und -richterinnen, dass es vorliegend auch nicht um Bagatelltaten, sondern um den Handel mit Cannabisprodukten in größeren Mengen ging.
Die Sache muss nun, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, unter Beachtung der Rechtsauffassung des BGH neu verhandelt und entschieden werden.