Hätte man diese Geschichte als Plot für eine Serien-Folge über ein kriminelles Milieu verfasst, hätte sie wohl allenfalls auf der Vorabend-Resterampe enden können. Da sie sich aber wirklich ereignet hat, wurde sie nun Gegenstand der BGH-Rechtsprechung und wird vielleicht auch Prüfungsämter wieder über entsprechende Fälle im Examen nachdenken lassen:
Ein wieder in die Freiheit entlassener Strafhäftling musste bei seiner Ankunft in der heimischen Wohnung feststellen, dass in seinem Kellerabteil einige Wertgegenstände fehlten. Sein Verdacht fiel - ob begründet oder nicht - auf seinen Nachbarn, den er daraufhin gemeinsam mit einem Freund in dessen Wohnung aufsuchte und zur Rede stellte. Der Nachbar leugnete dies, was der erzürnte Ex-Häftling mit mehreren Faustschlägen in dessen Gesicht quittierte. Weil der Mann eine stark blutende Platzwunde davontrug, begab sich der vermeintlich Bestohlene - offenbar doch bewegt vom Schicksal des verängstigten Nachbarn - in dessen Badezimmer, um dort ein wenig Toilettenpapier zur Stillung der Blutung zu holen. Dabei entdeckte er das Marken-Fahrrad des Nachbarn, welches dieser dort aufbewahrte. Während er zur Wundversorgung zurückkehrte, wies er seinen Freund an, das Fahrrad mitzunehmen. Weil der nunmehr tatsächlich Bestohlene weitere Schläge fürchtete, erhob er hiergegen keine Einwände.
Nachdem das Landgericht den Haupttäter wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt hatte, hob der BGH den Urteilsspruch nun in der Revision auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung zurück. Der 5. Strafsenat war der Ansicht, dass die Kammer fälschlich von einem Raub ausgegangen war, da es hier an der nötigen Drohung fehlte (Beschluss vom 27.08.2024 - 5 StR 403/24).
BGH: Bloße Einschüchterung des Opfers durch Schläge genügt nicht
Das Landgericht war davon ausgegangen, dass es sich hier um einen Fall der fortwirkenden Gewalt handelte, da der Nachbar aus Furcht vor weiteren Schlägen keinen Widerstand gegen die Wegnahme des Fahrrads geleistet habe. Grundsätzlich erfordert eine Strafbarkeit nach § 249 StGB, dass der Täter, bzw. die Täterin einer Person eine fremde bewegliche Sache zielgerichtet mittels Gewalt oder einer Drohung entwendet. Umstritten ist im Schrifttum seither, wie es zu bewerten ist, wenn es ursprünglich mit einer völlig anderen Zielsetzung zur Anwendung der Gewalt kam, der Täter, bzw. die Täterin aber dann die Situation ausnutzt, um dem Opfer etwas wegzunehmen. Wirkt die Gewalt nun als implizite Drohung fort?
Nach der Rechtsprechung des BGH kann das angenommen werden, allerdings nicht schon deshalb, weil das Opfer offensichtlich noch von der abgeschlossenen Gewalthandlung eingeschüchtert ist. "(D)as bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers" sei – anders als in § 177 Abs. 5 StGB – nicht als selbständiges Nötigungsmittel normiert, weshalb es nicht ausreiche, "wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen", stellte der Senat nun noch einmal klar. Es brauche im Nachgang der Gewalt ein konkretes Verhalten, wie Äußerungen oder sonstige Handlungen, das – mindestens konkludent – eine Gefahr für Leib oder Leben erkennen lasse.
Hier habe der Täter nach den Feststellungen der Strafkammer lediglich die vorherrschende Einschüchterung ausnutzen wollen, um sich das Fahrrad zu sichern. Ein wie auch immer geartetes Verhalten, mit dem er weitere Gewalttätigkeiten in Aussicht gestellt hätte, sei dem nicht zu entnehmen. Insbesondere konnte der Senat ein solches auch nicht in den offenbar etwas uneindeutigen landgerichtlichen Feststellungen zum "Gebaren" des Angeklagten bei der Wundversorgung erkennen.
Somit muss - oder darf - sich nun eine andere Strafkammer erneut mit diesem Fall befassen.