Schlafbedürftiger Schöffe am Strafgericht zeigt mögliche Befangenheit an

Zeigt ein Laienrichter selbst an, dass möglicherweise ein Befangenheitsgrund besteht, muss der Strafprozess nicht unterbrochen werden, bis über seine Ablehnung entschieden wird. Seine vorläufige weitere Mitwirkung verstößt nach Ansicht des BGH nicht gegen die Wartepflicht nach § 29 Abs. 1 StPO

In einem Strafverfahren wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 78 Fällen fiel während mehrerer Hauptverhandlungstage auf, dass ein Schöffe mit geschlossenen Augen auf der Richterbank saß. Darauf angesprochen, versicherte er jedoch stets, der Verhandlung gefolgt zu sein. Kurz vor dem achten Fortsetzungstermin gestand er seinen Richterkollegen, dass er sie belogen hatte und möglicherweise doch nicht alles mitbekommen habe. Er nehme zurzeit ein Medikament, das ihn vormittags schläfrig mache. Der achte Sitzungstag wurde mit ihm durchgeführt, nachdem er erklärt hatte, dass er fit sei.

Zwei Tage später informierte der Vorsitzende der Kammer die anderen Verfahrensbeteiligten über die Selbstanzeige des Schöffen und stellte anheim, den kranken Laienrichter abzulehnen, was nicht geschah. Wieder elf Tage später setzte das Gericht den Schöffen ab und ließ die Ergänzungsschöffin in das Quorum eintreten. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monate verurteilt. Er erhob Revision und rügte unter anderem die Verletzung der Wartepflicht nach § 29 Abs. 1 StPO und gleichzeitig den Entzug des gesetzlichen Richters nach Art. 101 GG – ohne Erfolg.

Hauptverhandlung muss nicht unterbrochen werden

Der 5. Strafsenat (Beschl. v. 26.09.2023 – 5 StR 164/22) lehnte es ab, § 29 Abs. 1 StPO hier anzuwenden: Die Hauptverhandlung werde seit der Änderung des § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO vom 13.12.2019 sowieso nicht mehr aus diesem Grund unterbrochen, weil sie als unaufschiebbar gelte. Unabhängig davon sei zweifelhaft, ob die Wartepflicht auf die Selbstanzeige überhaupt anwendbar ist.

Im Rahmen eines ausführlichen obiter dictum erläuterte der BGH die Zweifel näher: Eine bloße Selbstanzeige im Sinne des § 30 StPO löse die Wartepflicht nicht aus. Sie treffe vielmehr nur den Richter, der abgelehnt worden ist. Hier habe noch nicht einmal ein Antrag auf Ablehnung vorgelegen, weil die Beteiligten trotz Hinweises keine Bedenken an der weiteren Mitwirkung geäußert hätten. Der BGH sieht daher keinerlei schützenswertes Interesse berührt.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter unterscheiden zwischen den absoluten Ausschlussgründen nach den §§ 22, 23, 148a Abs. 2 Satz 1 StPO, die unmittelbar – also ohne Antrag eines Beteiligten – dazu führen, dass der Betroffene nicht am Verfahren mitwirken darf, und den nach § 24 Abs. 2 StPO Befangenen, über dessen weitere Mitwirkung erst durch Gerichtsbeschluss entschieden wird. Dieses Stufenverhältnis wäre hinfällig, wenn ein abgelehnter Richter schon vor der Entscheidung über seinen Ausschluss kein gesetzlicher Richter mehr wäre.

Der BGH argumentiert weiter, der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO (zur Mitwirkung eines befangenen Richters) setze ebenfalls mindestens ein Ablehnungsgesuch voraus. Die Entscheidung über eine bloße Selbstanzeige hingegen sei der Prüfung der Revisionsinstanz entzogen.

Auch die Rüge, das Landgericht habe durch den Austausch des Schöffen willkürlich gehandelt und dem Angeklagten den gesetzlichen Richter entzogen, war erfolglos: Die Bundesrichterinnen und -richter hielten die Rüge schon für unzulässig, weil sie sich widersprüchlich zur obigen Rüge verhalte: Man könne nicht in der einen Rüge behaupten, der Schöffe sei befangen, und in der nächsten Rüge, er sei nicht befangen gewesen. Jedenfalls sei der Einwand unbegründet, weil in dem Verhalten des LG keine Willkür zu erkennen sei. Im Beschluss zur Ablehnung des Schöffen habe die Kammer die für und gegen die Ablehnung sprechenden Umstände ausführlich dargelegt und den Beschluss anschließend nachvollziehbar begründet. 

BGH, Beschluss vom 26.09.2023 - 5 StR 164/22

Redaktion beck-aktuell, rw, 11. Oktober 2023.