Ein Mann wurde angeklagt, im Februar 2008 eine gefährliche Körperverletzung begangen haben. Das Amtsgericht Tiergarten sprach ihn im darauffolgenden Juli von diesem Vorwurf frei. 2020 wurde die Sache wieder aufgenommen, weil der Mann diese Tat außergerichtlich glaubhaft gestanden hatte. In der ersten Instanz wurde er wieder freigesprochen, aber das Landgericht Berlin verurteilte ihn 2022 unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren.
Dagegen erhob der Angeklagte die Revision zum Kammergericht, weil er annahm, die Tat im Jahr 2008 könne nach 14 Jahren nicht mehr geahndet werden. Das KG legte dem BGH die Sache vor, weil die Berliner Richterinnen und Richter – anders als der BGH im Jahr 1972 – den Eintritt der zehnjährigen Verjährungsfrist als gegeben ansahen. Der 5. Strafsenat (Beschluss vom 18.03.2024 – 5 StR 12/23) sieht das nach wie vor anders.
Wiederaufnahme begründet Verjährungsneubeginn
Mit der Rechtskraft eines Urteils endet die Verfolgungsverjährung nach den §§ 78 ff. StGB und beginnt die Vollstreckungsverjährung nach den §§ 79 ff. StGB, so die Leipziger Richterinnen und Richter. Unabhängig davon, ob der Angeklagte einen Freispruch erringen konnte oder ob er verurteilt worden sei, bilde die rechtskräftige Wiederaufnahmeentscheidung nach § 370 Abs. 2 StPO den Beginn einer neuen Verfolgungsverjährungsfrist.
Der BGH erteilte der Ansicht des KG, jedenfalls bei Freigesprochenen müsse die Zeit zwischen dem Freispruch und der Wiederaufnahme des Verfahrens in die Verfolgungsverjährungszeit miteingerechnet werden, eine klare Absage: Zwar fehle es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in dieser Frage. Der 5. Strafsenat fand aber in den Wiederaufnahmeparagrafen keinen Hinweis darauf, dass sie in der Verjährung irgendeine Begrenzung erfahren.
Der Sinn und Zweck der Wiederaufnahme spricht dem BGH zufolge für den Neubeginn der Verfolgungsverjährung, denn die materielle Gerechtigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips gebiete eine erneute Laufzeit. Gerade der zu Unrecht Verurteilte habe auch nach Ablauf von vielen Jahren noch ein starkes Rehabilitationsinteresse. Die Wiederaufnahme räume in sehr engen Ausnahmetatbeständen der Gerechtigkeit einen Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit ein, indem sie es erlaube, Fehlentscheidungen der Justiz zu korrigieren.
In der vorliegenden Konstellation werde auch die Autorität des rechtsstaatlichen Verfahrens wiederhergestellt, das es dem Freigesprochenen verbiete, sich in aller Öffentlichkeit der kriminellen Tat zu rühmen, die Geschädigten damit zu verhöhnen, mit dem Freispruch zu prahlen und den Staat lächerlich zu machen.
Warum im Fall einer Wiederaufnahme eine geringere Verfolgungsverjährung laufen solle als bei einer regulären Strafverfolgung, erschloss sich den Leipziger Richterinnen und Richtern nicht. Auch für ein Ruhen der Verjährung zwischen der Rechtskraft des Urteils bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens, sodass die Zeit zwischen der Tat bis zum Eröffnungsbeschluss mitgezählt werden kann, sah der BGH keine Grundlage: Das Ruhen der Verjährungsfrist setze ein Laufen der Frist voraus, was hier nicht gegeben sei, weil die Rechtskraft des Urteils die Verjährung beende.