Auslieferung in die Ukraine auch für Kriegsdienstverweigerer

Kriegsdienstverweigerung kann jedenfalls dann kein Hindernis für eine Auslieferung sein, wenn sich das Zielland gegen einen Aggressor verteidigt und deshalb kein Recht zur Verweigerung anerkennt. Im Fall der Ukraine sah der BGH insoweit kein Hindernis für die Auslieferung eines ihrer Staatsangehörigen.

Ein Ukrainer wurde in Deutschland Ende Dezember 2023 aufgrund eines ukrainischen Auslieferungsantrags festgenommen, weil er in seiner Heimat einen Polizisten beleidigt und verletzt hatte. Als junger Mann hatte er in seiner Heimat den anderthalbjährigen Grundwehrdienst abgeleistet. Er habe sich zunächst für drei Jahre verpflichtet, aber die Chance genutzt, vorzeitig den Dienst zu beenden. Er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, andere Menschen zu töten, sagte er. Aber während des Krieges habe er nicht die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern. Er machte deshalb ein Auslieferungshindernis wegen Art. 4 Abs. 3 GG geltend, weil abzusehen sei, dass er nach seinem Strafprozess eingezogen werde. Das OLG legte dem BGH sinngemäß die Frage vor, ob der Mann in die Ukraine ausgeliefert werden dürfe, obwohl er den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigere. Der BGH bejahte die Frage.

Keine Kriegsdienstverweigerung im Fall der Landesverteidigung

Der 4. Strafsenat (Beschluss vom 16.01.2025 – 4 ARs 11/24) stellte vor allem darauf ab, dass sich die Ukraine zurzeit gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verteidigen müsse. In solchen Fällen werde das Recht auf Verweigerung des Dienstes an der Waffe regelmäßig – auch in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 12a GG – beschnitten. Kriegsdienstverweigerer könnten im Wege der praktischen Konkordanz auch hier noch zu zivilen Dienstleistungen, etwa in militärischen Lazaretten oder auch in der Rüstungsindustrie verpflichtet werden. Der Ukrainer kann demzufolge laut BGH sein Gewissen nicht als Auslieferungshindernis geltend machen, weil weder dem GG noch der EMRK ein uneingeschränkter Schutz zu entnehmen ist.  

Im Interesse der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Rechtshilfe würden Auslieferungsersuchen in Strafsachen grundsätzlich stattgegeben, erklärten die Bundesrichterinnen und -richter. Ausnahmen gebe es nur, wenn systemische Defizite im Zielstaat bestehen. Diese seien aber mit Blick auf die Einschränkungen im Landesverteidigungsfall des Art. 4 Abs. 3 GG und Art. 9 EMRK nicht erkennbar.

Auch Art. 18 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte helfe dem Ukrainer nicht: Zwar dürfe auch hiernach ein Kriegsdienstverweigerer nicht zur Anwendung tödlicher Gewalt gezwungen werden, das Schutzniveau sei aber nicht höher als bei Art. 9 Abs. 1 EMRK

BGH, Beschluss vom 16.01.2025 - 4 ARs 11/24

Redaktion beck-aktuell, rw, 12. Februar 2025.

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