Ein Mann musste sich vor dem LG Mönchengladbach wegen einer Vergewaltigung verantworten. Vor Vernehmung der 25jährigen Geschädigten ordnete die Strafkammer die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal an, weil sie einen erheblichen Nachteil für das Wohl des Opfers erwartete. Der mutmaßliche Täter schaute der Vernehmung aus einem Nebensaal per Video zu. Anschließend wurde die Frau aus dem Zeugenstand entlassen, wobei der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten zusicherte, eine erneute Ladung der Frau großzügig zu prüfen. Sie wurde auch noch einmal benötigt und wieder in Abwesenheit des Angeklagten vernommen, ohne dass seine Entfernung erneut beschlossen wurde. Der Vorsitzende erklärte kurzerhand, der schon ergangene Gerichtsbeschluss wirke fort.
Nachdem der Mann zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt wurde, erhob er die Verfahrensrüge zum BGH – mit Erfolg. Laut BGH (Beschluss vom 09.07.2025 – 3 StR 194/25) ist die Revision begründet, weil die Verhandlung während der zweiten Vernehmung der Zeugin ohne den Angeklagten stattgefunden hatte. Der 3. Strafsenat hält den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO für gegeben, weil die Entfernung des mutmaßlichen Täters aus dem Sitzungssaal während der erneuten Vernehmung gegen § 247 S. 2 StPO verstoße. Das LG Mönchengladbach wird erneut entscheiden müssen.
Neue Vernehmung, keine Fortdauer der ersten Vernehmung
Ein neuer Entfernungsbeschlusses sei nötig gewesen, weil es zu einer zweiten, damit neuen Vernehmung der Geschädigten gekommen sei. Eine Vernehmung endet den Karlsruher Richterinnen und Richtern zufolge nach § 248 StPO mit der Entlassung aus dem Zeugenstand. Werde die Geschädigte erneut vernommen, müssten auch noch einmal die Voraussetzungen für die Entfernung des Angeklagten geprüft werden.
Der 3. Strafsenat begründete seine Ansicht vor allem mit der hohen Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten, das ein Ausfluss seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und angemessene Verteidigung aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 3c EMRK sei. Da sei eine restriktive Auslegung des § 247 StPO geboten. Der BGH zog auch die Rechtsprechung zum Ausschluss der Öffentlichkeit heran: Auch hier müsse bei einer erneuten Vernehmung eines bereits entlassenen Zeugen ein neuer Beschluss ergehen, um die Öffentlichkeit noch einmal auszuschließen.
Eine Ausnahme lässt der 3. Strafsenat allenfalls gelten, wenn die Voraussetzungen für die Entfernung offensichtlich vorliegen, zum Beispiel, wenn die Entlassung der Zeugin sofort zurückgenommen wird. Ein solcher Fall lag aber hier nicht vor: Auch die Ankündigung, er werde eine erneute Ladung wohlwollend prüfen, ist dem BGH zufolge mit einer sofortigen Rücknahme der Entlassung nicht vergleichbar, weil sie deutlich macht, dass der Vorsitzende erst erneut prüfen will, ob er die Zeugin noch einmal braucht.
Hinzu komme, dass fraglich sei, ob die Voraussetzungen der Entfernung überhaupt vorgelegen hätten, weil § 247 Satz 2 StPO fordere, dass die Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten "die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit" begründe. Die Erwartung eines bloß erheblichen Nachteils für das Wohl des Opfers, wie die Begründung des ersten Entfernungsbeschlusses lautete, genüge nicht.