Es ging nach Auffassung der Beteiligten um "Respekt": Ein Streit zwischen zwei Familien war im Oktober 2022 bereits in körperlichen Auseinandersetzungen gegipfelt, bei welchen der Hauptprotagonist der nun ergangenen BGH-Entscheidung hatte einstecken müssen. Dafür wollte er sich am nächsten Tag revanchieren und tat sich hierfür mit seinem Cousin zusammen. Er verabredete mit diesem, zum Haus der Familie zu fahren, um sich dort deren gebührende Achtung zu sichern. Dazu führte er selbst ein Pfefferspray, sein Cousin eine halbautomatische Pistole mit sich. Mit der Pistole sollte in erster Linie gedroht werden, töten wollte man nach den landgerichtlichen Feststellungen niemanden. Im Fall der Fälle sah der Plan der beiden aber auch vor, das Pfefferspray und zur Not auch die Schusswaffe einzusetzen.
Am Haus angekommen traf man denn auch erwartungsgemäß die verfeindeten Familienmitglieder – allesamt Brüder – an. Nachdem der Cousin dort die Waffe vorgezeigt hatte, führte dies aber ebenso wenig zum erhofften Respekt wie der fragwürdige Hinweis, sie seien Kurden und somit gefährliche Leute. Im Gegenteil kamen noch mehr Familienangehörige aus dem Haus, woraufhin die Situation recht schnell eskalierte. Nach ein paar Schlägen zückte der Cousin schließlich die Waffe und bedrohte die davon jedoch wenig beeindruckten Kontrahenten. Sein Mitstreiter zog sich zu diesem Zeitpunkt bereits zurück. Im Rahmen der entstandenen Rangelei feuerte der Cousin schließlich mehrere Schüsse ab, bis das Magazin leer war, und traf dabei zwei Angreifer ins Bein. Diese ließen jedoch nicht von ihm ab und prügelten weiter auf ihn ein. Als er sich dem nicht entziehen konnte, griff der andere Mann schließlich zu seiner Rettung ein und attackierte die Familienmitglieder mit dem Pfefferspray.
Das LG Darmstadt wertete die Präsentation mit der Schusswaffe als ihm mittäterschaftlich zugerechnete Bedrohung mit einem Verbrechen (§ 241 Abs. 2 StGB) und den Einsatz des Pfeffersprays als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) in fünf tateinheitlichen Fällen. Zwar diskutierte die Strafkammer, ob eine Rechtfertigung der Pfefferspray-Attacke nach den Grundsätzen der Nothilfe (§ 32 StGB) in Betracht kam, lehnte dies jedoch schließlich ab, weil der Angeklagte und sein Cousin zeitig hätten flüchten können. Dies sei ihnen aufgrund ihrer vorangegangenen Drohung mit der Waffe zumutbar gewesen.
Neue Situation durch beendeten Angriff?
Dem schloss sich der BGH nun aber nicht an und hob das Urteil mitsamt der Feststellungen in Teilen auf (Beschluss vom 09.09.2024 – 2 StR 211/24). Grund war, dass man die recht pauschale Ablehnung der Nothilfe durch das LG nicht für ausreichend hielt. Hierzu erläuterte der 2. Strafsenat noch einmal die grundsätzlichen Voraussetzungen der Notwehr, bzw. -hilfe. Danach hat, wer einen Angriff auf sich selbst zuvor provoziert hat, die sogenannte Trutzwehr zunächst zurückzustellen und – sofern irgend möglich – einen Fluchtversuch zu unternehmen. Die Logik ist: Wer eine gewalttätige Auseinandersetzung mit herbeiführt, darf beim ersten Angriff auf sich selbst nicht gleich das "scharfe Schwert" der Notwehr voll ausschöpfen, sondern muss erst einmal Deeskalation betreiben. Gleiches gilt für einen nothelfenden Dritten.
Soweit wich das LG in seinem Urteil auch nicht ab. Es ging dem BGH jedoch um den Zeitpunkt des Gegenangriffs. Denn zwar ließ der Senat das Argument durchgehen, dass der Cousin, bereits bevor er die Waffe abfeuerte, hätte fliehen müssen. Jedoch müsse man für die Beurteilung der Notwehrlage immer auf den Zeitpunkt der konkreten Tathandlung, hier also des Einsatzes des Pfeffersprays, abstellen. Die Urteilsgründe hätten indes offengelassen, ob der vom Angeklagten und seinem Cousin selbst begonnene Angriff nicht in dem Zeitpunkt beendet gewesen sei, als die Brüder diesen im Griff hatten und auf ihn einschlugen. Das Magazin seiner Waffe sei leergeschossen gewesen und er habe die Angreifer gebeten, mit den Schlägen aufzuhören.
Somit könnte es sich in den Augen des BGH, nachdem der Cousin seine Rolle vom Angreifer und Angegriffenen getauscht hatte, um eine neue Situation handeln, in der die Möglichkeit einer Nothilfe neu zu prüfen sei. Mit dieser Frage wird sich das LG nun zu befassen haben.