Keine Funkzellenabfragen bei bloßen Diebstählen mehr
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Die Funkzellenabfrage erfreut sich bei Ermittlern großer Beliebtheit, doch wird man damit in Zukunft vorsichtig umgehen müssen. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung die Grenzen für diese Maßnahme deutlich enger gezogen, erklärt Jens Ferner.

Anfang dieses Jahres hob der BGH ein Strafurteil des LG Frankfurt a.M. in Teilen auf, das unter anderem auf der Grundlage einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO ergangen war. Mit seiner Entscheidung definiert der BGH die rechtlichen Grenzen für Funkzellenabfragen neu, was so nicht zwingend zu erwarten war. Für die künftige Praxis der Ermittlungsbehörden ist sie daher von großer Bedeutung (Beschluss vom 10.01.2024 – 2 StR 171/23).

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das LG den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen und anderer Delikte verurteilt. Ein wesentliches Beweismittel war die Auswertung von Verkehrsdaten, die im Rahmen einer Funkzellenabfrage erhoben worden waren. Die Staatsanwaltschaft hatte diese Ermittlungsmaßnahme beim AG beantragt und der Ermittlungsrichter hatte sie auf der Grundlage von § 100g Abs. 3 S. 1 StPO angeordnet.

BGH hebt Strafurteil in Teilen auf

Die Funkzellenabfrage ist ein Ermittlungsinstrument, das dazu dient, Informationen über alle Mobiltelefone zu sammeln, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle aktiv waren. Dabei fordern die Strafverfolgungsbehörden von den Mobilfunkbetreibern die Verbindungsdaten aller Mobiltelefone an, die im relevanten Zeitraum in einer Funkzelle eingebucht waren. Diese Daten enthalten keine Gesprächs- oder Nachrichteninhalte, sondern lediglich Metadaten wie Rufnummern und Verbindungszeiten.

Die dabei relevanten Mobilfunkmasten bilden diese Funkzellen und sind in bestimmte geografische Gebiete unterteilt. Jeder Mobilfunkmast deckt mehrere Funkzellen ab, die jeweils eine bestimmte Reichweite haben. Ein Mobiltelefon wählt sich immer in die nächstgelegene beziehungsweise am besten erreichbare Funkzelle ein. Jedes Mal, wenn ein Mobiltelefon eine Aktion ausführt (zum Beispiel einen Anruf tätigt, eine SMS versendet oder Daten überträgt), wird diese Aktivität vom Mobilfunkmast registriert. Diese Registrierung umfasst Informationen wie die Mobilfunknummer, die IMEI-Nummer (eine eindeutige Identifikationsnummer des Geräts), den Zeitpunkt der Verbindung und die genaue Funkzelle, in der die Verbindung stattgefunden hat.

Die Revision des Angeklagten wandte sich gegen die Verwertung der durch die Funkzellenabfrage erhobenen Daten und machte geltend, dass die Anordnung der Maßnahme rechtswidrig gewesen sei. Der BGH gab der Revision statt und stellte fest, dass die Anordnung tatsächlich gegen die Vorgaben der StPO verstoßen hatte. Eine Funkzellenabfrage setzt nach dieser Entscheidung (nunmehr) den Verdacht einer besonders schweren Straftat nach § 100g Abs. 2 StPO voraus. Der BGH unterstützte damit den Revisionsführer in seiner Auffassung, dass der im ermittlungsrichterlichen Beschluss angenommene Verdacht einer Straftat nach §§ 242, 243 StGB für die Anordnung nicht ausreiche. 

Was ist eine Straftat von "erheblicher Bedeutung"?

Die Funkzellenabfrage ist mit ihren gesetzlichen Voraussetzungen in § 100g Abs. 3 S. 1 StPO definiert. Dabei wird hinsichtlich der Voraussetzungen ausdrücklich auf § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO verwiesen, wonach eine "Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung" vorliegen muss. Genau an dieser Stelle beginnt jedoch der Streit: Etwas weiter hinten, in § 100g Abs. 1 S. 3 StPO, wird hinsichtlich der gespeicherten retrograden Standortdaten auf den Tatenkatalog des § 100g Abs. 2 StPO verwiesen, der deutlich eingegrenzt ist und Taten wie Hochverrat, Mord oder die Verbreitung von Kinderpornographie umfasst. Die hier in Rede stehenden §§ 242, 243 StGB sind hingegen nicht enthalten. 

Angesichts der Vergleichbarkeit der beiden Maßnahmen, die beide auf gespeicherte Standortdaten abstellen, stellte sich die Frage, ob für eine Funkzellenabfrage nicht letztlich der Katalog des § 100g Abs. 2 StPO maßgeblich sein muss. Diese in der Literatur vertretene Auffassung hat der BGH nunmehr bestätigt. Interessant ist, dass der Senat bereits im Rahmen der wörtlichen Auslegung trotz der eindeutigen Bezugnahme auf Satz 1 ausführt, die Bezugnahme erstrecke sich auch auf Satz 3. Allerdings stellt der BGH dann weniger darauf ab, wie der Wortlaut zu verstehen sei, sondern vielmehr darauf, dass die Funkzellenabfrage legaldefiniert sei als "Erhebung aller in einer Funkzelle anfallenden Verkehrsdaten" und damit per se als retrograd (d. h. in die Vergangenheit gerichtet) zu qualifizieren sei. Diese eher systematisch anmutende Argumentation will der BGH nun als Wortlautauslegung verstanden wissen, was durchaus überrascht, aber im Ergebnis überzeugt, da eine Differenzierung zwischen einer retrograden Standortdatenerhebung und einer Funkzellenabfrage praktisch nicht vorstellbar ist.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass eine Funkzellenabfrage nicht ausschließlich die Erhebung von Standortdaten, sondern die Erhebung sämtlicher Verkehrsdaten umfasst. Da bei einer Funkzellenabfrage nun sämtliche Verkehrsdaten innerhalb der konkreten Funkzelle zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben werden, sind gerade auch die Standortdaten der Mobilfunkgeräte, die sich in dieser Funkzelle befunden haben, umfasst. Dies bedeutet, dass bei einer Funkzellenabfrage zwangsläufig auch retrograde Standortdaten erhoben werden, was letztlich eine Abgrenzung der Maßnahmen nicht nur erschwert, sondern auch künstlich erscheinen lässt.

Im Ergebnis sieht der BGH also eine Verweisung auf den klar definierten Katalog von Straftaten in § 100g Abs. 2 StPO, der im Übrigen deutlich kürzer ist und daher nicht mit § 100a Abs. 2 StPO, dem Katalog von Straftaten für eine Telekommunikationsüberwachung, verwechselt werden darf.

Rechtswidrige Funkzellenabfrage führt zu Beweisverwertungsverbot

Zum Zeitpunkt der Anordnung bestand daher kein hinreichender Tatverdacht für eine Katalogtat nach § 100g Abs. 2 StPO. Damit war die Anordnung der Funkzellenabfrage rechtswidrig und es stellte sich die Frage, wie mit diesem Beweismittel umzugehen war. Aufgrund der aufgezeigten gesetzlichen Systematik bestand ein Beweiserhebungsverbot, was in der Rechtsprechung des BGH jedoch nicht zwingend, also nicht pauschal, zu einem Beweisverwertungsverbot führt: Vielmehr ist grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sog. Abwägungslehre).

Hier handelte es sich jedoch um einen Sonderfall, da die vom Grundgesetz besonders geschützte Telefonkommunikation besonderer Regelungen bedarf. So hat sich in der Rechtsprechung des BGH zu § 100a StPO herausgebildet, dass mit Blick auf die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens Erkenntnisse aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung regelmäßig nicht als Beweismittel verwertet werden dürfen. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen eine wesentliche materielle Voraussetzung für die Anordnung der Maßnahme gefehlt hat. Das Beweismittel ist damit unverwertbar, wenn der Verdacht einer Katalogtat von vornherein nicht bestand. 

Diese Grundsätze aus dem Bereich der Telefonüberwachung überträgt der BGH nun - im Hinblick auf die vergleichbare Regelungssystematik - auf den Anwendungsbereich des § 100g StPO. Das Ergebnis ist ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot für rechtswidrig erlangte Funkzellendaten. Die Konsequenz dieser Rechtsprechung zeigt sich dann auch unmittelbar im vorliegenden Fall: Da die Funkzellendaten maßgeblich zur Überführung des Angeklagten beigetragen hatten, hob der Senat das Urteil in den entsprechenden Punkten auf. 

Klare Grenzen für invasive Telekommunikations-Auswertung

Die Entscheidung verdeutlicht die strengen Anforderungen an die Anordnung einer Funkzellenabfrage und wird damit erhebliche praktische Bedeutung erlangen: Funkzellenabfragen erfreuen sich bei Ermittlerinnen und Ermittlern erheblicher Beliebtheit. Die Statistik des Bundesamtes für Justiz für das Jahr 2021 weist rund 10.000 solcher Datenabfragen aus, davon gut 90 Prozent rückwirkend für eine Woche.

Die Ermittlungsbehörden müssen künftig sicherstellen, dass der Verdacht einer Katalogtat nach § 100g Abs. 2 StPO vorliegt. Andernfalls sind die gewonnenen Beweismittel unverwertbar, was gravierende Folgen für entsprechende Strafverfahren haben wird. Mit dieser Klarstellung stärkt der BGH den Grundrechtsschutz im Strafverfahren und setzt dem Einsatz invasiver Telekommunikations-Ermittlungsmaßnahmen klare Grenzen, die vom Gesetzgeber auch so gewollt waren.

Der Autor Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich der Strafverteidigung, insbesondere in der Schnittmenge von IT-Recht und Strafrecht.

BGH, Beschluss vom 10.01.2024 - 2 StR 171/23

Gastbeitrag von Jens Ferner, 5. Juni 2024.