Ein Mann fuhr an einem Abend im Jahr 2021 mit zwei Freunden auf einen Schulparkplatz, wo sich eine Gruppe von etwa 20 Leuten aufhielt. Seine Begleiter stiegen aus und mischten die jungen Leute auf, indem sie ihnen laut Prügel androhten. Das kam nicht so gut an – einer der beiden wurde geschlagen. Als der Mann im Auto das sah, nahm er seine Pistole, stieg aus und hielt sie einem gerade dort stehenden Mann an die Stirn. Es kam zu einer Rangelei, bei der er zunächst zu Boden gerungen wurde. Dann aber stand er wieder auf und schoss dem Mann, der seine Waffe schon vorher an der Stirn gehabt hatte, in den rechten Oberschenkel. Der Verletzte versteckte sich hinter einem Fahrzeug. Der Angreifer verfolgte ihn mit seinen Blicken, schoss aber nicht erneut auf ihn, sondern mindestens drei Mal auf andere Menschen und Sachen. Dann verließ er den Parkplatz mit seinem Pkw, kehrte aber nochmal zurück und rief bedrohlich nach dem Verletzten. Erst dann fuhr er endgültig vom Parkplatz weg.
Das LG Gießen verurteilte den Angreifer wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen in Tateinheit mit weiteren Delikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. Das Urteil basierte auf einer Verständigung, wonach er ein Geständnis ablegte. Der am Bein Verletzte trat als Nebenkläger auf und legte Revision zum BGH ein – mit Erfolg: Der 2. Strafsenat konnte die Ansicht des LG, der Angreifer sei strafbefreiend von seinem Tötungsversuch zurückgetreten, anhand der Urteilsbegründung nicht nachvollziehen. Er hob das Urteil deshalb auf und verwies die Sache zurück (Urteil vom 11.09.2024 – 2 StR 521/23) .
Faires Verfahren gebietet Aufhebung des Geständnisses
Zwar wären nach § 353 Abs. 2 StPO die Feststellungen nur insoweit aufzuheben, als sie von der Gesetzesverletzung durch das LG betroffen wären. Die BGH-Richterinnen und -Richter hätten daher das Geständnis des Angeklagten bestehen lassen können, sodass die nachfolgende Instanz daran gebunden gewesen wäre.
Das lehnte der BGH wegen des Grundsatzes des fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ab: Anderenfalls befände sich der Angeklagte, der sein Geständnis nur im Rahmen der Verständigung im Vertrauen auf das zugesagte Strafmaß abgelegt habe, im Nachteil, weil die nachfolgende Instanz zwar an die Feststellungen – die auch auf seinem Geständnis beruhten – gebunden sei, aber nicht an die Vereinbarung. Hinzu komme, dass das Verschlechterungsverbot hier nicht gelte.
Der 2. Strafsenat bedauerte, dass der Gesetzgeber bei der Einrichtung des sogenannten Deals nach § 257c StPO nicht das sich "im Revisionsverfahren möglicherweise ergebende Erfordernis einer Durchbrechung der vertikalen Teilrechtskraft" im Blick gehabt habe, als er "davon ausging, dass das neue Tatgericht an eine im vorherigen Rechtsgang zustande gekommene Verständigung nicht gebunden ist". Das Verwertungsverbot aus § 257c Abs. 4 StPO sei hier weder direkt noch analog anwendbar. Es gebe auch keine anderen prozessualen Regeln, die eine Verwertung des Geständnisses bei Teilrechtskraft verhinderten. Dieses Regelungsdefizit benachteilige den grundsätzlich verständigungsbereiten Angeklagten, weshalb der Ausgleich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens notwendig sei.