Bei der Beurteilung, ob ein Ablehnungsgesuch "unverzüglich" im Sinne der StPO ergangen ist, gelten für Staatsanwaltschaft und Angeklagte die gleichen Regeln. So entschied der BGH im Falle eines Staatsanwalts, der vor dem LG München I an einem größeren Strafverfahren beteiligt war (Urteil vom 09.04.2024 – 1 StR 371/24). "Unverzüglich" meint damit auch aus Perspektive der Staatsanwaltschaft nicht "sofort", sondern lediglich "ohne schuldhaftes Zögern". Im Einzelfall könne das auch bedeuten, dass ein Befangenheitsantrag erst am folgenden Abend ergehen kann.
Auslöser für den Streit zwischen Kammer und Staatsanwaltschaft über den Befangenheitsantrag war ein Fall von gefährlicher Körperverletzung gewesen. Drei Männer, die einen Angehörigen der "Hells Angels" geschlagen und getreten hatten, waren vor dem LG München I geständig gewesen. Das Gericht hatte sie zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt – den Befangenheitsantrag des Staatsanwalts hatte die Kammer abgelehnt.
Interne Genehmigungsschleifen verzögerten den Antrag
Auch wenn es seltener ist, Befangenheitsanträge können auch vonseiten der Staatsanwaltschaft kommen. Hier hatte der Sitzungsvertreter den Eindruck gewonnen, die Kammer sei so erpicht auf ein Geständnis der Angeklagten gewesen, dass es bei Verständigungsgesprächen über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung beide Augen zugedrückt habe.
Laut internen Richtlinien der Staatsanwaltschaft war der Sitzungsvertreter jedoch verpflichtet, Befangenheitsanträge vorher mit seinem Abteilungs- und Behördenleiter zu besprechen. Der Abteilungsleiter war während der fünfzehnminütigen Pause allerdings nicht erreichbar, sodass die Hauptverhandlung ohne Weiteres fortgesetzt wurde.
Nach Ende des Verhandlungstages um 16:30 Uhr besprach sich der Staatsanwalt vorschriftsgemäß mit seinem Abteilungsleiter, der den Befangenheitsantrag billigte. Am nächsten Morgen befürwortete ihn auch der Behördenleiter. Der Staatsanwalt hatte jedoch um 09:30 Uhr eine andere, komplexe Hauptverhandlung zu betreuen, für die er schon zuvor wesentlich verantwortlich gewesen war.
Erst nach Ende dieser Sitzung um 14:30 Uhr verfasste er das Befangenheitsgesuch und versandte es um 20:45 Uhr per Fax an das Landgericht. Zu spät – fand die Kammer. Sie lehnte das Gesuch als unzulässig ab. Es hätte mindestens am Tag nach der ersten Sitzung eingehen müssen, so die Richterinnen und Richter. Nun sei der Antrag nicht mehr "unverzüglich" gemäß § 25 StPO gestellt worden.
BGH: Dieselben Grundsätze wie beim Ablehnungsgesuch durch Angeklagte
Der BGH hat das nun anders gesehen. Rechtsnormen, die das grundgesetzliche Recht auf einen gesetzlichen Richter garantierten, würden laut dem 1. Strafsenat gleichermaßen auch zugunsten der Staatsanwaltschaft gelten. Diese garantiere nicht nur in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, sondern auch in angeknüpften Rechtsmittelverfahren einen rechtsstaatlichen Ablauf. So komme es, dass sich die Staatsanwaltschaft als "Wächter des Gesetzes" auch auf § 26a StPO berufen könne, die Vorschrift, die die Ablehnung von Befangenheitsgesuchen der Angeklagtenseite näher ausgestaltet.
Hier sei der Befangenheitsantrag willkürlich von der Kammer verworfen worden. Die Verspätung des Antrags trage eine Ablehnung hier "offensichtlich" nicht, so der BGH. Die StPO fordere (in § 25 Abs. 2) eine "unverzügliche" Geltendmachung des Ablehnungsgesuches. Darunter sei aber nicht "sofort", sondern nur "ohne schuldhaftes Zögern" zu verstehen. Dabei sei aus Sicht des Gerichts zwar ein strenger Maßstab anzulegen, die Beurteilung der Unverzüglichkeit sei jedoch in jedem Fall anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Dabei würden im Wesentlichen dieselben Grundsätze gelten wie bei einem Ablehnungsgesuch durch Angeklagte.
Genehmigungsschleifen in Behörden üblich
Auch einem Staatsanwalt sei daher eine angemessene Zeitspanne zur Überlegung, Einhaltung behördeninterner Verfahrensabläufe und Abfassung der Ablehnungsgründe zuzubilligen. Gerade in Behörden wie der Staatsanwaltschaft sei es üblich, dass die Vorgehensweise im Verfahren mit höheren Stellen abzusprechen sei. In diesem Fall habe der Staatsanwalt das Ende des Sitzungstags abwarten müssen, um die interne Behördenabsprache anzustoßen. Diese diene gerade auch dem Schutz vor übereilten Befangenheitsanträgen. Da der Staatsanwalt der anderen Sitzung aufgrund der besonderen Komplexität der Vertretung beiwohnen musste, stehe auch das der Unverzüglichkeit nicht entgegen.
Das Befangenheitsgesuch sei im Ergebnis daher "offensichtlich" unverzüglich angebracht worden. Der BGH verwies die Sache damit für eine neue Verhandlung zurück an das LG München I. Er regte in einem obiter dictum außerdem an, dass das LG Fragen des Strafrahmens und der Bewährungsaussetzung nicht vermischen sollte. Nur so komme es zu einem gerechten Schuldausgleich.