Anwalt entsorgt gelben Umschlag
Ein Steuerpflichtiger wehrte sich gegen die vom Finanzamt veranlagte Einkommensteuer. Sein Einspruch gegen den Steuerbescheid scheiterte bei der Behörde. Die Einspruchsentscheidung wurde seinem Anwalt per Post mit Zustellungsurkunde - im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten - zugestellt. Der Jurist hatte zwar keine Empfangsvollmacht, war aber im Veranlagungs- und Einspruchsverfahren für den Mandanten tätig. Nachdem sich herausstellte, dass die Klage verfristet war, beantragte er die Wiedereinsetzung. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (Neustadt a. d. Weinstraße) lehnte sein Gesuch ab, da er die Klagefrist schuldhaft versäumt habe. Der Anwalt habe seine Pflichten zur ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation mindestens fahrlässig verletzt. Er habe den Umschlag, mit dem die Entscheidung zugestellt worden sei, entsorgt. Zudem habe er nicht sichergestellt, dass ihm die Umschläge zur Kenntnis gelangten. Mit einer ordentlichen Ablagestruktur hätte er das - hier am Freitag eingegangene - Schreiben den Wochentagen zuordnen können. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH hatte keinen Erfolg.
Ordnungsgemäße Kanzleiorganisation fahrlässig verletzt
Aus Sicht der Münchner Richter ist das FG zu Recht von einer wirksamen Zustellung der Einspruchsentscheidung - im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten am 28.08.2020 um 13:30 Uhr - ausgegangen (§ 122 Abs. 5 S. 2 AO in Verbindung mit § 3 VwZG). Dies entspreche dem Inhalt der Zustellungsurkunde. Zustellungsmängel seien nicht ersichtlich. Dem BFH zufolge durfte das Finanzamt die Einspruchsentscheidung gegenüber dem Anwalt des Klägers bekanntgeben. Zwar habe der Behörde keine schriftliche Empfangsvollmacht vorgelegen. Dennoch sei er für den Klienten aufgetreten. Er habe sich für ihn bestellt und sei sowohl im Veranlagungs- und Einspruchsverfahren als auch im Aussetzungsverfahren mehrfach für ihn tätig geworden. Da der Anwalt seine Pflichten zur ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation mindestens fahrlässig verletzt habe, sei dessen Verschulden dem Steuerschuldner zurechenbar (§ 155 S. 1 FGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO). Er habe missachtet, dass bei der Zustellung gegen Zustellungsurkunde der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und ihm im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist mit vorzulegen sei. Die Prüfung von Klagefristen sei eine "nicht delegierbare" Aufgabe eines Rechtsanwalts.