Daten, die nicht automatisch zur (elektronischen) Akte gelangen, sind der Finanzbehörde auch dann nicht "bekannt", wenn sie theoretisch jederzeit von Datenspeichern abrufbar waren. Ein Ehepaar, das Änderungen seiner Veranlagungspflicht nicht angezeigt hatte, könnte deshalb eine Steuerhinterziehung begangen haben, meint der BFH (Urteil vom 14.05.2025 – VI R 14/22).
Anfang 2018 fiel der Oberfinanzdirektion auf, dass ein Ehepaar für die Jahre 2009 und 2010 notwendige Einkommenssteuererklärungen nicht abgegeben hatte. Weil in diesen zwei Jahren auch die Frau eine Tätigkeit aufgenommen hatte, war das Paar von der Antrags- in die Pflichtveranlagung gewechselt – ohne dass das Finanzamt davon gewusst hätte. Jenes erließ für die beiden Jahre prompt Schätzungsbescheide nebst Verspätungszuschlägen.
Nach erfolglosem Einspruch erhob das Paar Klage vor dem FG Münster. Das Gericht sah keine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 379 Abs. 1 Nr. 2 AO), da das Finanzamt anhand der hinterlegten elektronischen Daten bereits von der Änderung der Verhältnisse Kenntnis gehabt habe. Der zuständige Sachbearbeiter habe diese Daten jederzeit abrufen können, weshalb eine Steuerhinterziehung nicht gegeben sei. Auf die Revision des Finanzamts entschied er BFH nun anders.
Festsetzungsfrist verlängert?
Die nachträglichen Steuerfestsetzungen für die Jahre 2009 und 2010 ergingen im Jahr 2018. Die vierjährige Festsetzungsfrist jedoch eigentlich schon am 31.12.2016 bzw. am 31.12.2017 abgelaufen, wie der BFH erklärte. Für Fälle der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) sehe das Gesetz aber eine verlängerte Frist von zehn Jahren, bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) eine Verlängerung um fünf Jahre vor.
Damit kam es in diesem Verfahren darauf an, ob das Paar Steuern hinterzogen bzw. leichtfertig verkürzt hatte. Wie schon die Vorinstanz zog der VI. Senat hier eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen in Betracht. Die Voraussetzung: Das Ehepaar hätte das Finanzamt "in Unkenntnis" über die Änderungen der steuerlichen Verhältnisse lassen müssen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
Wann genau das der Fall sei, werde bisher unterschiedlich beurteilt, so der BFH. Teilweise werde es schon als ausreichend gesehen, dass die Steuerklärung nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben werde. Andere Stimmen sprächen nur dann von einem "In-Unkenntnis-Lassen", wenn die Behörde auch tatsächlich keine Kenntnis über den Sachverhalt habe. Diese Frage ließ der Senat indes offen, denn jedenfalls habe das Finanzamt in diesem Fall keine Kenntnis gehabt.
Finanzamt hätte nicht selbst darauf kommen müssen
Eine Steuerhinterziehung trete zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine Veranlagung nach ordentlicher Steuererklärung stattgefunden habe – spätestens also, wenn die Veranlagungsarbeiten des Finanzamts zur jeweiligen Steuerart "im Wesentlichen abgeschlossen" seien.
Ob in diesem Zeitpunkt Kenntnis bestehe, richte sich nach den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern des konkreten Steuerfalls. Bekannt seien damit alle Informationen, die dem Sachbearbeiter von anderen Stellen "über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt" würden. Gerade nicht bekannt seien demgegenüber Daten, die nicht automatisch zur Papierakte bzw. zur elektronischen Akte gelangten, so der Senat. Solange sie nur lokal abrufbar auf Festplatten lägen – auch wenn sie steuerliche Informationen mit der Steuernummer verknüpften – seien sie noch nicht bekannt.
Die Steuerjahre 2009 und 2010 des Ehepaars seien beim Finanzamt nicht als Pflicht- sondern weiterhin als Antragsveranlagungen gespeichert gewesen. Das Finanzamt habe mit den Lohnsteuerbescheinigungen zwar gegenteilige Daten erhalten – diese seien aber nicht in die elektronische Akte, sondern nur in eine externe Bescheinigungsübersicht gelangt. Diese habe der zuständige Sachbearbeiter nicht ohne Weiteres einsehen müssen.
Die Sache wurde damit an das FG zurückverwiesen, das nun näher prüfen soll, ob die Behörde es mit einer Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung zu tun hatte. Danach wird sich nun bemessen, ob Einkommenssteuer für beide, oder nur für eines der beiden Jahre nachzuzahlen ist.


