Vor dem Finanzgericht Münster ging es in der Sache um Akteneinsicht. Im Gerichtssaal waren die Richter und der Geschäftsführer eines nicht anwaltlich vertretenen Unternehmens anwesend. Das Bild des zugeschalteten Vertreters des Finanzamts wurde an die Wand hinter dem Geschäftsführer projiziert. Damit er den Behördenvertreter überhaupt sehen konnte, musste er sich jeweils umdrehen und konnte so entweder die Richterbank oder den Vertreter des Finanzamts im Blick behalten. Das FG Münster hat die Klage abgewiesen.
Beim IX. Senat des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 18.08.2023, IX B 104/22) traf es zum Thema Videoverhandlung nun erneut das FG Münster. Im Juni hatte der V. Senat des BFH bezüglich eines Verfahrens desselben Gerichts gefordert, dass die Richterbank jederzeit vollständig im Bild sichtbar sein muss. Ansonsten werde das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt.
Hier war nach Ansicht des BFH der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden: Es gehe nicht, dass sich ein im Gerichtssaal anwesender Beteiligter bei einer Videoverhandlung nach § 91a FGO immer um 180 Grad drehen müsse, um den zugeschalteten Beteiligten sehen zu können, argumentierte das oberste Finanzgericht. Dies könne den Beteiligten ablenken, wodurch ihm Einzelheiten, zum Beispiel in Mimik und Gestik der Vertreter des Finanzamts oder der Richter, entgehen könnten. Auch im Rahmen einer Videoverhandlung müssten die verbalen und nonverbalen Äußerungen umfassend wahrzunehmen sein.
BFH: Kein Verlust des Rügerechts
Da das Unternehmen nicht rechtskundig vertreten war, ist dem BFH zufolge – trotz unterlassener Rüge – das Rügerecht nicht nach § 295 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 155 S. 1 FGO verloren gegangen. Dass in der eingeschränkten Sichtbarkeit eines Beteiligten im Rahmen einer Videoverhandlung ein Verfahrensmangel liegen könnte, sei für einen Laien nicht ohne Weiteres erkennbar.