Es kann schon vorkommen, dass die Antworten von Erst- und Zweitkorrektor auf Kritik an ihrer Bewertung aus Sicht der Kandidaten wie aus einem Guss wirken. Seltener dürfte es sein, dass Korrektoren von sich aus mitteilen, dass sie sich bei der Überprüfung abgestimmt haben, wie es hier geschah.
Nachdem eine angehende Steuerberaterin auch im dritten Anlauf ihrer Steuerberaterprüfung an zwei nicht bestandenen schriftlichen Aufsichtsarbeiten gescheitert war, zog sie gegen die Benotung vor Gericht. Im Rahmen eines – parallel dazu laufenden – verwaltungsinternen "Überdenkungsverfahrens" nach § 29 Steuerberater-Durchführungsverordnung (DVStB) lehnten sowohl der Erst- als auch der Zweitprüfer eine Anhebung der Note einer Klausur ab. Dabei schrieb der Zweitprüfer der prüfenden Steuerberaterkammer ganz offen, dass er sich im Vorfeld mit dem Erstkorrektor abgesprochen hatte. Das FG München wies auch die Klage auf Neubewertung dieser Arbeit ab. Ein Anspruch auf verdeckte Bewertung bestehe nicht. Eine "offene" Zweitbewertung, bei der sich der weitere Korrektor der Einschätzung des Erstkorrektors anschließe, sei zulässig. Der BFH (Urteil vom 21.11.2023 – VII R 15/21) ordnete eine Neubewertung dieser Klausur durch andere Prüfer an.
Grundlage einer Prüfungsbewertung müsse ein eigenständiges und unabhängiges Urteil über die erbrachte Leistung sein. Eine gemeinsam abgestimmte "Überdenkung" von Klausuren durch Erst- und Zweitprüfer entspreche nicht einer fairen Gestaltung des Prüfungsverfahrens, so die Münchner Richterinnen und Richter. Eine Heilung des Verfahrensfehlers sei auch nicht durch eine erneute Überprüfung durch dieselben Personen möglich.
Der BFH stellte – mit Blick auf die weitere angegriffene Klausur – allerdings auch klar, dass es unschädlich ist, wenn die Prüfer bei der Nachbewertung die jeweilige Argumentation ihres Kollegen kennen. Solange sie sich ein eigenständiges, auf eigene Argumente gestütztes Urteil bildeten, dürften sie insoweit auch "offen" arbeiten.