Viele deutsche Unternehmen erwirtschaften ihre Gewinne im Ausland
Das oberste deutsche Gericht für alle Steuerfragen feiert am 01.10.2018 im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sein
hundertjähriges Bestehen. "Wenn man das international akzeptierte System der Steueraufteilung
ändert, muss man auch die Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht
und die deutsche Staatsfinanzierung bedenken", sagte Mellinghoff der
Deutschen Presse-Agentur. "Wenn Gewinne künftig nicht mehr da
besteuert würden, wo produziert wird, hätte das für den Standort
Deutschland vielleicht größere Auswirkungen. Es gibt Unternehmen in
Deutschland, die einen Großteil ihrer Gewinne im Ausland
erwirtschaften."
Erheblicher Teil deutscher Produktionsleistung würde im Ausland versteuert
Wenn man Leistungen künftig im Abnehmer- oder Verbrauchsstaat
besteuere, hätte das zur Folge, dass ein erheblicher Teil der
deutschen Produktionsleistung im Ausland versteuert würde. "Die
Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen Parteien werden sich
sicher sehr genau überlegen, welche Auswirkungen eine Änderung der
Systematik auf die Exportnation Deutschland hätte", so Mellinghoff.
Digitalsteuer konzipiert mit Blick auf US-IT-Konzerne
Die Digitalsteuer sei konzipiert mit Blick auf IT-Konzerne aus den
USA, sagte Mellinghoff, der dem BFH seit 2011 vorsteht und davor
Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe war. "Da muss man
vielleicht ein Defizit des US-Steuersystems feststellen.
Steuersystematisch wird es aber schwierig und kompliziert, wenn ein
Staat Defizite im Steuerrecht eines anderen Staates beheben wollte."
Umsatzsteuer 1918 in Deutschland eingeführt
Im Jahr 1918 führte die Reichsregierung die Umsatzsteuer ein, der
Reichsfinanzhof wurde als dazugehöriges Gericht gegründet und in
München angesiedelt. Die Umsatzsteuer bringt dem Fiskus heute noch
gut ein Drittel der Steuereinnahmen ein – und beschäftigt Mellinghoff
und seine Richterkollegen nach wie vor: "Die Rechtsprechung zur
Umsatzsteuer führt dazu, dass wir das Gericht sind, das die meisten
Vorlagen beim Gerichtshof der Europäischen Union einreicht."
Mellinghoff: Europarechtliches Beihilfeverbot wirft Probleme auf
Ein großes Problem sei zur Zeit das europarechtliche Beihilfeverbot.
"Es ist kaum vorhersehbar, wann die EU eine steuerliche Regelung als
verbotene Beihilfe einordnet", sagte der BFH-Präsident. Aber auch
ohne Europa sei die Steuerrechtsprechung komplexer geworden.
"Schwierigkeiten ergeben sich auch dadurch, dass sozialstaatliche
Leistungen in das Einkommensteuerrecht verlagert worden sind. So
bildet das Kindergeld eigentlich einen Fremdkörper im
Einkommensteuerrecht; es war früher als reine Sozialleistung
geregelt", sagte Mellinghoff.
Plädoyer für mehr Typisierung und Pauschalierung
Problematisch sei auch ein übertriebenes Bedürfnis nach
Einzelfallgerechtigkeit. "Es wäre sehr viel sinnvoller, zu typisieren
und zu pauschalieren", sagte der BFH-Präsident. "Das wäre ein
wichtiger Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts. Bei der Frage
der Steuergerechtigkeit müsse man zwei Dinge trennen: In der
Öffentlichkeit wird sehr häufig über die Höhe der Steuersätze
gesprochen. Für die Rechtsprechung ist die Bestimmung der Höhe der
Steuersätze selten ein Problem", sagte Mellinghoff. "Viele Probleme
ergeben sich aber bei der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage."
Förder- und Ausnahmetatbestände ziehen
komplizierte Abgrenzungsfragen nach sich
Zahlreiche Förder- und Ausnahmetatbestände ziehen laut Mellinghoff
komplizierte Abgrenzungsfragen nach sich. So würfen die
Fördertatbestände für haushaltsnahe Dienstleistungen und
Handwerkerleistungen Abgrenzungsfragen untereinander und zu den
außergewöhnlichen Belastungen auf. "Die Frage, ob das Ausführen eines
Hundes oder das Schneeräumen haushaltsnah ist, musste durch den BFH
entschieden werden. Die jeweiligen Sonderregelungen sind politische
Entscheidungen; jede einzelne ist gut gemeint", sagte Mellinghoff.
"Zur Vereinfachung tragen sie nicht unbedingt bei."
Redaktion beck-aktuell, 28. September 2018 (dpa).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
Treffen der Eurogruppe und informeller ECOFIN – Besteuerung der digitalen Wirtschaft, MwStR 2018, 775
Schanz/Sixt, Betroffene Geschäftsmodelle des EU-Richtlinienvorschlags zur Digitalsteuer, DStR 2018, 1985
Brauneck, Digitalsteuer: Endlich angemessene Steuern für Google, Apple, Facebook und Co. in der EU?, EuZW 2018, 624
Kontroversen zum EU-Richtlinienvorschlag "Besteuerung der digitalen Wirtschaft“, DStR-KR 2018, 24