Kindergeld für behindertes Kind auch nach Vollendung des 27. Lebensjahres

Volljährige behinderte Kinder können einen Kindergeldanspruch über die Vollendung des 27. Lebensjahrs hinaus haben, wenn die Behinderung bereits vor Erreichen der Altersgrenze vorgelegen hat. Ein Gendefekt stelle nur dann eine solche Behinderung dar, wenn das Kind dadurch vor Erreichen der Altersgrenze schon an Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen gelitten habe, so der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 27.11.2019.

Muskelerkrankung wurde erst spät erkannt

Der Kläger ist der Vater einer im August 1968 geborenen Tochter, die an einer Muskelerkrankung in Form der Myotonen Dystrophie Curschmann Steinert leidet. Trotz erster Symptome im Alter von rund 15 Jahren wurde die Erkrankung zunächst nicht erkannt. Die Diagnose erfolgte erst 1998. In der Folgezeit verstärkte sich die Muskelschwäche und es wurde im Jahr 2005 zunächst ein Grad der Behinderung von 50 und im Jahr 2009 von 100 festgestellt. Die Tochter absolvierte eine Berufsausbildung und befand sich bis 2010 in einem Beschäftigungsverhältnis. Ab Oktober 2011 erhielt sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Streit um Zeitpunkt des Eintritts der Behinderung

Der Kläger beantragte 2014, ihm für seine Tochter ab Januar 2010 Kindergeld zu gewähren. Dies lehnte die Familienkasse unter Hinweis darauf ab, dass die Behinderung nicht vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage für die Monate statt, in denen die der Tochter zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfes ausreichten. Die Familienkasse legte Revision ein.

BFH stellt Bedingungen für Anspruch auf

Der Bundesfinanzhof hat der Revision stattgegeben. Da für die Tochter aufgrund einer Übergangsregelung noch nicht die ab 2000 auf das 25. Lebensjahr abgesenkte Altersgrenze gelte, setze der Kindergeldanspruch des Klägers voraus, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Der Behinderungsbegriff erfordere dabei eine für das Lebensalter untypische gesundheitliche Situation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauere und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtige. Nicht ausreichend sei es dagegen, wenn vor Erreichen der Altersgrenze eine Behinderung zwar drohe, aber noch nicht eingetreten sei.

FG muss Vorliegen von Beeinträchtigungen vor Erreichen der Altersgrenze prüfen

Hierzu habe das Finanzgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Für die Frage, ob die Behinderung bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres, also bis August 1995, eingetreten sei, habe das Finanzgericht zu Unrecht den festgestellten angeborenen Gendefekt ausreichen lassen. Es müsse daher noch prüfen, ob der Gendefekt bereits vor Erreichen der Altersgrenze zu Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen bei der Tochter des Klägers geführt hatte.

BFH, Urteil vom 27.11.2019 - III R 44/17

Redaktion beck-aktuell, 9. Juli 2020.