Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer

Ist einem erkennbar an einer zügigen Entscheidung interessierten Kläger aufgrund einer Verfahrensverzögerung von 15 Monaten ein Nichtvermögensnachteil entstanden, darf ihm dem Bundesfinanzhof zufolge nicht allein mit der Erwägung, dass der Schaden nur in der Verzögerung besteht, eine Geldentschädigung verwehrt werden. Ein bereits geleisteter Geldausgleich für ein überlanges Parallelverfahren beim selben Ausgangsgericht stehe einer weiteren Abfindung nicht entgegen.

Zuständiges Gericht blieb 11 Monate untätig

Ein Steuerpflichtiger verlangte eine Entschädigung in Höhe von 1.800 Euro wegen unangemessener Verfahrensdauer in einem PKH-Verfahren vor dem FG. Er hatte im November 2016 Klage auf Erlass bereits gezahlter Säumniszuschläge von 52.380 Euro erhoben. Gegen die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide hatte er ein weiteres Klageverfahren vor dem Ausgangsgericht geführt, das im November 2019 abgeschlossen wurde. Im Dezember 2016 beantragte er Prozesskostenhilfe, die das Ausgangsgericht erst Ende März 2020 bewilligte. Es führte beide Verfahren unter demselben Aktenzeichen. Im Februar 2018 rügte der Kläger erstmals eine Verfahrensverzögerung, dann im März 2019 sowie im November 2019. Im März 2020 teilte die Berichterstatterin mit, es sei beabsichtigt, Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Sie bat um weitere Erläuterungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die der Kläger einreichte. Im Erörterungstermin am 27.07.2020 sagte die Vertreterin des Finanzamts zu, den Bescheid über die Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Kläger neu zu bescheiden. Die Beteiligten erklärten daraufhin übereinstimmend die Hauptsache für erledigt. Die Entschädigungsklage beim BFH hatte überwiegend Erfolg.

Deutliches Interesse an einer zügigen Entscheidung

Das Ausgangsverfahren weist den Münchener Richtern zufolge eine unangemessene Dauer von insgesamt 15 Monaten auf. Dem Kläger stehe aus diesem Grund eine geldwerte Entschädigung für einen Nichtvermögensnachteil von 1.500 Euro nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu. Das im November 2016 rechtshängig gewordene Ausgangsverfahren sei verzögert behandelt, bemängelten die obersten Finanzrichter. Den Akten lasse sich von Dezember 2018 bis Oktober 2019 (insgesamt 11 Monate) keine gerichtliche Aktivität entnehmen. Der Umstand, dass der Kläger parallel ein Verfahren beim Ausgangsgericht geführt und wegen unangemessener Verfahrensdauer bereits eine Entschädigung bezogen habe, sei unerheblich. Eine Wiedergutmachung der unangemessenen Verfahrensdauer auf andere Weise als durch die Zahlung einer Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG komme nicht in Betracht. Denn die mehrfachen Verzögerungsrügen belegten, dass er ein deutliches Interesse an einer zügigen Entscheidung gehabt habe. Laut BFH musste dabei auch das Interesse des Klägers berücksichtigt werden, ein unter anderem für die Zahlung der Säumniszuschläge aufgenommenes Darlehen zurückführen zu können.

BFH, Urteil vom 23.03.2022 - X K 6/20

Redaktion beck-aktuell, 2. September 2022.