Behörde gewährte Freibetrag nicht
Im Streitfall war die Klägerin Miterbin ihrer Mutter. Diese war circa zehn Jahre vor ihrem Tod pflegebedürftig geworden (Pflegestufe III, monatliches Pflegegeld von bis zu 700 Euro). Die Klägerin hatte ihre Mutter auf eigene Kosten gepflegt. Das Finanzamt gewährte den Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG in Höhe von 20.000 Euro nicht. Das Finanzgericht gab der hiergegen erhobenen Klage statt.
BFH: Begriff "Pflege" grundsätzlich weit auszulegen
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des FG. Der Begriff "Pflege" sei grundsätzlich weit auszulegen und erfasse die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer hilfsbedürftigen Person. Es sei nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zugeordnet war.
Gesetzliche Unterhaltspflicht kein Hindernis
Eine gesetzliche Unterhaltspflicht steht nach Auffassung des BFH der Gewährung des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht entgegen. Dies folge aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der Historie der Vorschrift. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG schließe gesetzlich Unterhaltsverpflichtete nicht von der Anwendung der Vorschrift aus. Weder aus der gesetzlichen Unterhaltspflicht nach §§ 1601 ff., § 1589 Satz 1 BGB noch aus der Verpflichtung zu Beistand und Rücksicht zwischen Kindern und Eltern nach § 1618a BGB folge eine generelle gesetzliche Verpflichtung zur persönlichen Pflege. Damit entspreche die Gewährung des Pflegefreibetrags auch für gesetzlich Unterhaltsverpflichtete dem Sinn und Zweck der Vorschrift, ein freiwilliges Opfer der pflegenden Person zu honorieren. Zudem werde der generellen Intention des Gesetzgebers Rechnung getragen, die steuerliche Berücksichtigung von Pflegeleistungen zu verbessern. Da Pflegeleistungen üblicherweise innerhalb der Familie, insbesondere zwischen Kindern und Eltern erbracht werden, liefe die Freibetragsregelung bei Ausschluss dieses Personenkreises nahezu leer.
Gewährung des Freibetrags auch ohne Einzelnachweis möglich
Die Höhe des Freibetrags bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls. Vergütungssätze von entsprechenden Berufsträgern könnten als Vergleichsgröße herangezogen werden, betonten die Richter. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflegeleistungen – wie im Streitfall – könne der Freibetrag auch ohne Einzelnachweis zu gewähren sein.
Entscheidung von großer praktischer Bedeutung
Der Entscheidung kommt laut BFH im Erbfall wie auch bei Schenkungen große Praxisrelevanz zu. Die Finanzverwaltung habe bislang den Freibetrag nicht gewährt, wenn der Erbe dem Erblasser gegenüber gesetzlich zur Pflege oder zum Unterhalt verpflichtet war (Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 R E 13.5 Abs. 1 Satz 2). Auf dieser Grundlage habe das Finanzamt die Gewährung des Freibetrags auch im Streitfall verwehrt. Dem sei der BFH jetzt entgegengetreten. Von besonderer Bedeutung sei dabei, dass der Erbe den Pflegefreibetrag nach dem Urteil des BFH auch dann in Anspruch nehmen kann, wenn der Erblasser zwar pflegebedürftig, aber beispielsweise aufgrund eigenen Vermögens im Einzelfall nicht unterhaltsberechtigt war.