Auch während Pandemie: Wirksame Ersatzzustellung erfordert vorherigen Versuch persönlicher Übergabe

Eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ist unwirksam, wenn der Zusteller nicht zuvor versucht, die Postsendung mit dem Schriftstück persönlich zu übergeben. Dies gelte – mangels pandemiebedingter gesetzlicher Sonderregelungen – auch während der Covid-19-Pandemie, so der Bundesfinanzhof.

Streit um Zeitpunkt der Zustellung eines Gerichtsurteils

Im entschiedenen Fall hat der Postzusteller die Sendung mit einem Gerichtsurteil an einem Samstag in den Briefkasten der von den Klägern bevollmächtigten Steuerberatungskanzlei eingelegt. Wäre dieser Samstag das Zustellungsdatum gewesen, wäre die von den Klägern eingelegte Revision zu spät erhoben worden. Die Kläger machen allerdings geltend, die Zustellung sei unwirksam, weil der Zusteller während der Covid-19-Pandemie niemals versucht habe, in den Kanzleiräumen zu klingeln und das Schriftstück dort zu übergeben. Die Klage hat Erfolg.

Postzusteller soll persönliche Übergabe nicht versucht haben

Für förmliche Zustellungen – etwa von Gerichtsentscheidungen oder besonders wichtigen Verwaltungsakten – habe der Gesetzgeber mit den §§ 166 ff. ZPO ein klares Regelwerk aufgestellt, erläutert der BFH. Wenn diese Regeln bei der Zustellung nicht beachtet würden, sei die Zustellung unwirksam. Eine "Heilung" des Mangels trete erst in dem Zeitpunkt ein, in dem der Empfänger das Schriftstück tatsächlich in die Hand bekomme. Die Beweisaufnahme bei der Deutschen Post AG habe ergeben, dass es dort zwar keine generellen Anweisungen gegeben habe, während der Covid-19-Pandemie auf ein Klingeln beim Empfänger und den Versuch einer persönlichen Übergabe zu verzichten. Der Amtsleiter des Zustellers soll eine solche Anweisung aber erteilt haben.

Keine pandemiebedingten Sonderregelungen

Auf dieser Grundlage hat der BFH die Zustellung als unwirksam angesehen. Im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten, in denen der Gesetzgeber pandemiebedingte Erleichterungen in Bezug auf bestimmte Förmlichkeiten vorgesehen habe, seien zu den Zustellungsvorschriften der ZPO keine gesetzlichen Sonderregeln geschaffen worden. Auch das für den Streitfall maßgebende Landesrecht habe nicht angeordnet, dass bei Zustellungen ein Kontaktverbot bestehe. Dies hat der BFH für die in Bayern im Juni 2021 geltenden Infektionsschutzregeln, die vergleichbar mit denen anderer Bundesländer gewesen sein dürften, entschieden. Daher habe offen bleiben können, ob der Landesgesetzgeber überhaupt die bundesrechtlichen Zustellungsregelungen modifizieren konnte. Der damit gegebene Zustellungsmangel sei somit erst am darauffolgenden Montag geheilt worden, als eine Mitarbeiterin des Steuerberaters den Kanzleibriefkasten geleert habe. Daher hätten die Kläger die Revisionsfrist gewahrt, so der BFH.

Redaktion beck-aktuell, 12. Januar 2023.