LG Kassel: "Probehaft" für Angeklagten ist Rechtsbeugung und Aussageerpressung

Während einer Gerichtsverhandlung wird ein Angeklagter in eine Zelle gesteckt. Der Richter hat damit Erfolg: Es gibt ein Geständnis. Doch dann landet der Jurist wegen seiner ungewöhnlichen Methode selbst vor Gericht. Nun, acht Jahre später, hat das Landgericht Kassel den Juristen am 27.06.2017 wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

"Probehaft" sollte Angeklagten zu Einsicht und Therapiebereitschaft bringen

Damals war der angeklagte Jurist Richter auf Probe in Eschwege im Werra-Meißner-Kreis – und ließ in einer Verhandlung einen Angeklagten in eine Zelle stecken. Die Idee: Der Mann sollte sehen, was ihm blühen könnte. Er hatte sich zuvor auf dem Spielplatz eines Schnellimbisses mit offener Hose und heraushängendem Geschlechtsteil gezeigt. Ein Gutachten bescheinigte hohe Wiederholungsgefahr. Der Mann sollte eine Therapie machen, doch in den Augen des Proberichters hätte die ohne Einsicht nichts gebracht. Und die fehlte dem Angeklagten.

Zellentür war nur kurz geschlossen

Der Richter verließ daraufhin den Gerichtssaal mit dem Angeklagten. Protokollantin und Staatsanwalt blieben ratlos zurück – einen Anwalt gab es nicht. Mit einem Wachtmeister ging es in den Keller. Dort waren Zellen. Für maximal eine Minute soll der Mann in einen solchen Raum gebracht worden sein. Die Tür wurde geschlossen. Das machte Eindruck. Der Mann gestand die Tat und willigte in die Therapie ein.

Anonyme Anzeige bringt Sache ans Licht

Den Aufenthalt in der Zelle sehe der damals Angeklagte heute als großes Unrecht, aber auch zweite Chance, erklärte die Staatsanwältin nun vor dem Kasseler LG. Der Mann erstattete keine Anzeige. Erst eine anonyme Anzeige brachte die Sache ins Rollen. Der damalige Proberichter wurde entlassen, bekam auch keine Zulassung als Anwalt. Er verdiene sein Geld heute mit Projekten, gibt der Jurist vor Gericht an.

Angeklagter wollte auch schnellen Abschluss des Verfahrens erreichen

Dabei glaubt auch das LG Kassel, dass der Angeklagte als Proberichter damals das Beste für den Angeklagten wollte. "Und dann kam Ihnen diese fürchterlich schlechte Idee", sagt der Vorsitzende Richter. Auch Eigennutz habe eine Rolle gespielt: "Sie wollten das Verfahren rechtskräftig abschließen, weil einiges nicht so rund gelaufen ist." Für das Gericht ist klar: Der 40-Jährige habe damals genau gewusst, was er tat. Er sei schließlich ein guter Jurist.

LG: Mindeststrafe ausreichend

Das Urteil lautet ein Jahr auf Bewährung. Rechtsmittel dagegen sind möglich. Fünf Monate gelten aufgrund der langen Prozessdauer als verbüßt. Man könne nur die Mindeststrafe verhängen, erklärt das LG – auch weil der Vorfall die Karriere des Juristen beendet und seiner Familie geschadet hatte.

BHG kassierte zuvor Freispruch

Es ist das zweite Urteil in dem Fall. Der Bundesgerichtshof hatte 2012 einen Freispruch aufgehoben (JuS 2012, 1042). Er hatte Fehler bei der Bewertung der Beweise gesehen. Dem folgt das LG Kassel: "Das Ergebnis war das richtige", erklärt der Vorsitzende Richter. Trotzdem habe der Druck des Proberichters den damals Angeklagten benachteiligt.


LG Kassel

Redaktion beck-aktuell, Göran Gehlen, 28. Juni 2017 (dpa).