Be­triebs­rä­te-Be­zah­lung: "Skan­dal­ur­teil" als Re­form­an­stoß?

Die vom Bun­des­ge­richts­hof An­fang Ja­nu­ar ge­kipp­ten Frei­sprü­che für vier frü­he­re VW-Per­so­nal­ma­na­ger zwin­gen den Kon­zern vor­aus­sicht­lich zum Umbau sei­ner Be­triebs­rä­te-Be­zah­lung – und haben mög­li­cher­wei­se Fol­gen weit über den Fall hin­aus. "Die Volks­wa­gen AG hat die Be­grün­dung des Ur­teils zur Kennt­nis ge­nom­men", hieß es am Frei­tag aus Wolfs­burg. "Das Un­ter­neh­men wird die Fest­stel­lun­gen zum Maß­stab der Be­triebs­rats­ver­gü­tung be­rück­sich­ti­gen."

Kon­se­quen­zen über den Fall hin­aus mög­lich

Zuvor hatte der BGH die De­tails zu sei­ner Ent­schei­dung ver­öf­fent­licht. Dem­nach dür­fen "hy­po­the­ti­sche" An­nah­men über die Kar­rie­re­ent­wick­lung eines Be­triebs­rats­mit­glieds al­lein kein Maß­stab für des­sen Be­zah­lung sein. Im Kern ist bei der Ge­halts­ein­stu­fung nur der Ver­gleich mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zu­läs­sig, die zu Be­ginn der Ar­beit in der Be­leg­schafts­ver­tre­tung ähn­li­che Tä­tig­kei­ten und Po­si­tio­nen in­ne­ha­ben. Der Rich­ter­spruch könn­te Kon­se­quen­zen auch für die Ver­gü­tung von Be­triebs­rä­ten in vie­len an­de­ren deut­schen Un­ter­neh­men haben. Denn die In­ter­pre­ta­ti­on des höchs­ten Straf­ge­richts gerät bei die­sem Punkt unter an­de­rem in Kon­flikt zu meh­re­ren frü­he­ren Ur­tei­len von Ar­beits­ge­rich­ten. Au­ßer­dem gel­ten Be­stim­mun­gen des ma­ß­geb­li­chen Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes unter et­li­chen Ju­ris­ten als schwam­mig.

LG sprach An­ge­klag­te vom Vor­wurf der Un­treue frei

Im kon­kre­ten Fall war es um die Frage ge­gan­gen, ob VW-Ver­ant­wort­li­che zwi­schen 2011 und 2016 un­an­ge­mes­sen üp­pi­ge Ge­häl­ter und Boni für lei­ten­de Be­leg­schafts­ver­tre­ter ge­neh­migt hat­ten. Ex-Be­triebs­rats­chef Bernd Os­ter­loh etwa kam in man­chen Jah­ren auf über 700.000 Euro. Das schon ar­beits­recht­lich kom­pli­zier­te Thema hatte 2021 zu einem auf­se­hen­er­re­gen­den Straf­pro­zess am Land­ge­richt Braun­schweig ge­führt. Die Staats­an­walt­schaft erhob An­kla­ge wegen Un­treue, weil über­zo­ge­ne Ver­gü­tun­gen Ge­win­ne ge­schmä­lert und so auch Er­trags­steu­ern ge­drückt hät­ten. Das LG konn­te keine vor­sätz­li­che Pflicht­ver­let­zung er­ken­nen und sprach die Män­ner frei – was der BGH je­doch kas­sier­te.

VW warnt vor weit­rei­chen­den Fol­gen für Wett­be­werbs­fä­hig­keit Deutsch­lands 

Wenn Be­rufs­we­ge auch in Rich­tung ma­nage­ment­ähn­li­cher Auf­ga­ben keine Grund­la­ge zur Ge­halts­ein­stu­fung mehr sein dür­fen, dann müss­ten nicht nur gut ver­die­nen­de Be­triebs­rä­te mit Ab­stri­chen rech­nen, ver­lau­te­te es von In­si­dern. Die ta­rif­ge­bun­de­ne Ver­gü­tung müss­te wohl eben­so teils um­ge­baut wer­den. Und das würde auch an­ders­wo Un­si­cher­hei­ten aus­lö­sen. "Diese Ent­schei­dung kann weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen auf die be­trieb­li­che Mit­be­stim­mung in der Bun­des­re­pu­blik und damit auf die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des ge­sam­ten Wirt­schafts­stand­orts Deutsch­land haben", glaubt Volks­wa­gen. Man er­hof­fe sich "eine ra­sche Her­stel­lung von Rechts­si­cher­heit, Plan­bar­keit und Ver­läss­lich­keit für alle".

Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung: "Fron­tal­an­griff auf die Mit­be­stim­mung"

Aus dem Kon­zern­um­feld hieß es, eine hö­he­re zwei­stel­li­ge Zahl von Be­triebs­rats­mit­glie­dern der VW AG sei von der engen Aus­le­gung des BGH be­trof­fen – und zwar über alle Ge­halts­stu­fen hin­weg. Um Än­de­run­gen komme man wohl nicht herum. Eine Ar­beits­grup­pe hatte sich be­reits auf die Be­grün­dung ein­ge­stellt und Ge­sprä­che mit den Be­triebs­rä­ten ge­führt. Die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung selbst sprach von einem "Skan­dal­ur­teil, das einem bun­des­wei­ten Fron­tal­an­griff auf die Mit­be­stim­mung gleich­kommt". Der BGH wi­sche mit sei­ner Les­art "eine jah­re­lan­ge höchst­rich­ter­li­che Pra­xis des Bun­des­ar­beits­ge­richts bei­sei­te. In der Folge ist damit nun ar­beits­recht­lich er­laubt, was par­al­lel straf­recht­lich ver­bo­ten ist. Selbst­ver­ständ­lich wer­den sich be­trof­fe­ne Be­triebs­rats­mit­glie­der mit allen ju­ris­ti­schen Mit­teln gegen die­ses BGH-Ur­teil zur Wehr set­zen." Das Un­ter­neh­men wies dar­auf hin, dass vor Ar­beits­ge­rich­ten Kla­gen zur Ver­gü­tung an­hän­gig sind – damit wird die Lage noch un­über­sicht­li­cher.

Ge­werk­schaf­ten: Ge­setz­ge­ber muss han­deln

Darf die reine Aus­sicht auf hö­he­re Auf­ga­ben ein Fak­tor dabei sein, wie viel Be­triebs­rä­te ver­die­nen? Zwar dür­fen sie nach Auf­nah­me ihrer "eh­ren­amt­li­chen" Rolle ge­gen­über an­de­ren Kol­le­gen weder be­nach­tei­ligt noch be­güns­tigt wer­den. Der BGH for­dert aber einen stren­gen Maß­stab: "Die­ser ver­bie­tet es, auf die hy­po­the­ti­sche Ge­halts­ent­wick­lung des Be­triebs­rats bei einer Son­der­kar­rie­re ab­zu­stel­len. Ver­gleich­bar ist nur, wer im Zeit­punkt der Amts­über­nah­me ähn­li­che, im We­sent­li­chen gleich qua­li­fi­zier­te Tä­tig­kei­ten aus­ge­führt hat und dafür in glei­cher Weise wie der Be­triebs­rat fach­lich und per­sön­lich qua­li­fi­ziert war." Hin­ter den Ku­lis­sen rau­chen nun die Köpfe. Bei Ge­werk­schaf­ten stößt die Sicht­wei­se der Rich­ter be­reits auf of­fe­nes Un­ver­ständ­nis. "Die Ver­un­si­che­rung ist durch das Ur­teil nicht klei­ner ge­wor­den", so der DGB. "Der Ge­setz­ge­ber ist jetzt ge­fragt, die­sen Zu­stand schnell ab­zu­stel­len." Die IG Me­tall be­fürch­tet eine Ver­tie­fung des "Spalts zwi­schen der ar­beits­recht­li­chen Be­wer­tung einer an­ge­mes­se­nen Be­triebs­rats­ver­gü­tung und einer ab­wei­chen­den straf­recht­li­chen".

IG Me­tall: Qua­li­fi­ka­ti­on, Er­fah­rung, über­nom­me­ne Ver­ant­wor­tung rich­ti­ger Maß­stab

Ein zen­tra­les Pro­blem auch jen­seits von Volks­wa­gen: Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz, wel­ches im Prin­zip die Be­zah­lung von Be­leg­schafts­ver­tre­tern re­gelt, stammt aus den 1970er Jah­ren. Ihm zu­fol­ge ist eine Ab­schät­zung nötig, auf wel­chem Kar­rie­reni­veau eine Per­son heute stün­de, wenn sie eine ver­gleich­ba­re Ma­nage­ment-Po­si­ti­on ein­näh­me. Oft feh­len indes klare Vor­ga­ben zu den Ver­gleichs­grup­pen. Re­for­m­an­läu­fe blie­ben bis­her ste­cken. Die IG Me­tall sieht drin­gen­den Hand­lungs­be­darf. "Die Ampel-Re­gie­rung muss jetzt klipp und klar ge­setz­lich fest­stel­len: Die Qua­li­fi­ka­ti­on und Er­fah­rung, die die aus­ge­üb­te Tä­tig­keit ver­langt, und die dabei über­nom­me­ne Ver­ant­wor­tung sind der rich­ti­ge Maß­stab für die Be­zah­lung von Be­triebs­rä­ten", for­dert sie – "so wie bei allen an­de­ren Be­schäf­tig­ten­grup­pen auch".

LG muss Vor­satz unter Be­rück­sich­ti­gung der Boni prü­fen

Ob sich die Braun­schwei­ger Straf­kam­mer, die den Fall zu­rück­be­kommt, von der­lei Ap­pel­len be­ein­flus­sen lässt? Die Bun­des­rich­ter gaben ihren Kol­le­gen in Nie­der­sach­sen un­ab­hän­gig von der ei­gent­li­chen Sach­fra­ge schon einen recht un­ver­blüm­ten Hin­weis dar­auf, dass sie auch die Ein­schät­zung der feh­len­den vor­sätz­li­chen Pflicht­ver­let­zung gründ­lich ge­prüft sehen wol­len. So seien Boni "voll­stän­dig außer Be­tracht ge­las­sen" wor­den, ob­wohl ge­ra­de diese die Ein­kom­men auf teils hohe sechs­stel­li­ge Jah­res­sum­men hät­ten stei­gen las­sen. "Diese für Ar­beit­neh­mer au­ßer­ge­wöhn­li­chen Zah­lun­gen kön­nen ein ge­wich­ti­ges Indiz für den Vor­satz sein."

Redaktion beck-aktuell, Jan Petermann, 20. Februar 2023 (dpa).

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