Be­stel­lung eines zwei­ten Pflicht­ver­tei­di­gers
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Einem An­ge­klag­ten muss nur dann ein wei­te­rer Ver­tei­di­ger bei­ge­ord­net wer­den, wenn der Be­darf hier­für zur Si­che­rung des Ver­fah­rens "un­ab­weis­bar" ist. Die Be­schwer­de über eine ge­richt­li­che Ab­leh­nung der Be­stel­lung kann nur im Hin­blick auf die Ver­let­zung des Be­ur­tei­lungs– und/oder Er­mes­sens­spiel­raums über­prüft wer­den. Das hat der Bun­des­ge­richts­hof am 31.08.2020 be­schlos­sen.

Ein Pflicht­ver­tei­di­ger für rund 130 Bände Er­mitt­lungs­ak­ten

Einem An­ge­klag­ten wird unter an­de­rem vor­ge­wor­fen, Mit­glied einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung zu sein. Für die Haupt­ver­hand­lung sind neben 30 Bän­den Sach­ak­ten noch mehr als 100 Ste­h­ord­ner als Bei­ak­ten zu be­ar­bei­ten. Das Ober­lan­des­ge­richt Dres­den plan­te, an 30 Tagen in­ner­halb von fünf Mo­na­ten bis Ja­nu­ar 2021 über die An­kla­ge zu ver­han­deln. Der mut­ma­ß­li­che Rechts­ex­tre­mist be­an­trag­te wegen der Viel­zahl von Akten, ihm einen zwei­ten Pflicht­ver­tei­di­ger bei­zu­ord­nen. Der Vor­sit­zen­de des OLG Dres­den lehn­te den An­trag ab, weil dem ers­ten Pflicht­ver­tei­di­ger der Pro­zess­stoff be­reits hin­läng­lich be­kannt sei. Da­ge­gen wehr­te sich der An­ge­klag­te mit der so­for­ti­gen Be­schwer­de zum BGH - er­folg­los.

Ein­ge­schränk­te Prü­fungs­kom­pe­tenz des BGH

Grund­sätz­lich tritt dem BGH zu­fol­ge das Be­schwer­de­ge­richt an die Stel­le des Erst­ge­richts und trifft eine ei­ge­ne Sach­ent­schei­dung. An­ders be­ur­teil­te der 3. Straf­se­nat aber den Be­schluss über die Be­stel­lung eines zu­sätz­li­chen Pflicht­ver­tei­di­gers nach § 144 Abs. 1 StPO – die­ser sei nur eine ver­hand­lungs­lei­ten­de Maß­nah­me. Dem Vor­sit­zen­den stehe bei sol­chen Ent­schei­dun­gen ein ge­richt­lich nicht voll über­prüf­ba­rer Be­ur­tei­lungs- und Er­mes­sens­spiel­raum zu: Der BGH könne nur prü­fen, ob der Rich­ter die Gren­zen sei­nes Be­ur­tei­lungs­spiel­raums ein­ge­hal­ten und sein Ent­schei­dungs­er­mes­sen feh­ler­frei aus­ge­übt habe.

Zu­sätz­li­cher Ver­tei­di­ger un­nö­tig

Die Bei­ord­nung eines zwei­ten Ver­tei­di­gers er­folgt laut BGH nur dann, wenn sie zur Si­che­rung der zü­gi­gen Durch­füh­rung des Ver­fah­rens  oder zur sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung der Rech­te des An­ge­klag­ten "un­ab­weis­bar" ist, also nur in we­ni­gen Aus­nah­me­fäl­len. Ein sol­cher Fall liege etwa vor, wenn sich die Haupt­ver­hand­lung über einen län­ge­ren Zeit­raum er­stre­cke und zu ihrer re­gu­lä­ren Durch­füh­rung si­cher­ge­stellt wer­den müsse, dass auch bei vor­über­ge­hen­dem Aus­fall eines Ver­tei­di­gers wei­ter­ver­han­delt wer­den könne. Oder wenn der Ver­fah­rens­stoff so au­ßer­ge­wöhn­lich um­fang­reich sei, dass er nur bei ar­beits­tei­li­gem Zu­sam­men­wir­ken zwei­er Ver­tei­di­ger be­herrscht wer­den könne. Hier sei nicht er­sicht­lich, dass der Pflicht­ver­tei­di­ger wäh­rend der Haupt­ver­hand­lung gra­vie­rend krank wer­den oder er den Pro­zess­stoff nicht be­wäl­ti­gen könne. Die Be­ur­tei­lung des OLG Dres­den, dass es kei­nes zu­sätz­li­chen Ver­tei­di­gers be­dür­fe, sei des­halb ver­tret­bar. Der 3. Straf­se­nat ver­warf daher die so­for­ti­ge Be­schwer­de.

BGH, Beschluss vom 31.08.2020 - StB 23/20

Redaktion beck-aktuell, 16. September 2020.

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