Beschlüsse der Frühjahrs-Jumiko - Viel Einigkeit
jumiko_fruehjahr_2022_CR_StMJ_Bayern
© StMJ Bayern
jumiko_fruehjahr_2022_CR_StMJ_Bayern

Am 01. und 02.06.2022 fand in Hohenschwangau die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und -minister statt. Sie fordern unter anderem eine Fortschreibung des Pakts für den Rechtsstaat und eine Entlastung der Justiz in Bezug auf Massenverfahren. Zudem hält die Jumiko eine Verstärkung des Kampfs gegen sexuellen Missbrauch von Kindern, Zwangsprostitution, Menschenhandel, Antisemitismus, Cybercrime und Hass und Hetze im Netz für erforderlich.

Fortschreibung des Pakts für den Rechtsstaat

Eines der Themen auf der Jumiko war die Fortschreibung des Pakts für den Rechtsstaat, wie ihn die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hatten. Es gehe auch um die Erweiterung um einen Digitalpakt, schrieb Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Die Konferenz der Justizministerinnen und -minister 2022 appelliere nun an den Bund, den Worten zeitnah Taten folgen zu lassen. Die Digitalisierung bedeute für alle Bundesländer einen gewaltigen personellen und finanziellen Kraftakt. Der Bund müsse sich an den Kosten angemessen beteiligen.

Entlastung der Justiz in Massenverfahren

Auch müsse Berlin Antworten auf die zunehmenden Herausforderungen durch Massenverfahren geben. Fluggast- und Dieselklagen, Beitragserhöhungen von Krankenkassen oder Widerrufe von Darlehensverträgen: Massenverfahren und Sammelklagen belasteten zunehmend die Zivilgerichte. Die Konferenz fordere den Bund auf, rechtspolitisch aktiv zu werden, so das Justizministerium Bayern. Um die Massenverfahren zu bewältigen, sei ein umfassendes, rechtspolitisches Reformpaket des Bundes notwendig, betont Eisenreich. Dabei dürften Geschädigte selbstverständlich nicht davon abgehalten werden, ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen." Die Jumiko schlägt dem Bund unter anderem die Schaffung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Bundesgerichtshof, eine Konzentration der Beweisaufnahme, Strukturvorgaben für Schriftsätze, eine effektive Regelung der Verbandsklage und Änderungen im Gebührenrecht vor.

Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch verbessern

Laut Justizministerium Bayern setzt sich die Jumiko auch für die Prüfung eines neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch ein. Nach geltendem Recht könnten Personen, die durch ihr Tun oder – vor allem – Unterlassen sexuellen Missbrauch von Kindern fördern, nur in besonderen Konstellationen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bayern habe eine Regelung vorgeschlagen, um diese Schutzlücke zu schließen. Danach sollen Fürsorge- und Aufsichtspersonen in Kirchen, Vereinen oder anderen Institutionen bei groben Pflichtverletzungen in Fällen von Kindesmissbrauch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. "Es geht uns um den Schutz der Kinder", sagte Bayerns Ressortchef Eisenreich. Bisher seien Strafen für Aufsichtspersonen nur möglich, wenn diese absichtlich durch Handeln oder Untätigkeit den sexuellen Missbrauch von Kindern fördern. Das sei aber oft schwer nachweisbar. Anlass für den Vorstoß von Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen waren Fälle, in denen katholische Geistliche nach Missbrauchstaten weiter in der Seelsorge arbeiten durften. Die Verschärfung des Strafrechts soll "bei groben Pflichtverletzungen" von Aufsichtspersonen gelten, die weiteren Missbrauch ermöglichen.

Reform der Straftatbestände zu Menschenhandel und Prostitution

Die Justizministerinnen und -minister setzen sich auf Antrag von Bayern und Niedersachsen zudem für eine grundlegende Reform der Straftatbestände zum Menschenhandel, zur Zwangsprostitution und zur Zwangsarbeit ein. Zuletzt waren die Vorschriften 2016 reformiert worden. Die beabsichtigte Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels sei damit aber nicht erreicht worden – wie auch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen festgestellt habe, so das Justizministerium Bayern. Die Jumiko fordert den Bund auf, bestehende Schutzlücken zu schließen und die derzeitigen Regelungen klarer und übersichtlicher zu gestalten. "Vor allem benötigen unsere Ermittler die geeigneten technischen Mittel für ihre Arbeit. Die Telekommunikationsüberwachung muss auf Zuhälterei ausgeweitet werden", fordert Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU).

Stärkung psychosozialer Prozessbegleitung 

Daneben beschlossen die Justizministerinnen und Justizminister, dass die psychosoziale Prozessbegleitung weiter gestärkt werden soll. Wichtige Klarstellungen und Ergänzungen dieses Hilfsangebots für Opfer schwerer Straftaten, insbesondere Sexualstraftaten, sollen durch den Bund vorgenommen werden. Ziel sei es, den Zugang zur psychosozialen Prozessbegleitung zu verbessern, indem das bislang zwingende Antragserfordernis abgeschafft wird. Für eine bessere Bezahlung der Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter wollen die Länder zudem auf eine Erhöhung der Fallpauschalen hinwirken.

Kampf gegen Antisemitismus verstärken

Weiter setzt sich die Konferenz laut Justizministerium Bayern dafür ein, die Strukturen und die Vernetzung der Länderjustiz im Kampf gegen Antisemitismus weiter zu verstärken. Berlin sei dem Antrag als Mitantragssteller beigetreten. Zum Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland sollen die Länder prüfen, Antisemitismus-Beauftragte bei den (General-)Staatsanwaltschaften oder vergleichbaren Strukturen zu etablieren. 

Bessere Zusammenarbeit gegen Cybercrime

Die Konferenz beschäftigte sich auch mit dem Kampf gegen Cybercrime. Sie beschloss bei entsprechendem Einverständnis der beteiligten Behörden, die Zusammenarbeit der Länderstaatsanwaltschaften mit dem Nationalen Cyber-Abwehrzentrum zu verstetigen, wie das Justizministerium Bayern meldet. Die Spezialisten der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) und der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC) seien bereits seit Juni 2021 im Cyber-AZ als Vertreter der Länder-Staatsanwaltschaften tätig. Nach der aus Sicht der Justizbehörden erfolgreichen Pilotphase solle die Beteiligung der beiden Länder zunächst bis Ende 2025 verlängert werden.

Hass und Hetze: Strafbarkeit von Plattformbetreibern prüfen

Weiter fordere die Konferenz auf Initiative Bayerns, auch die Betreiber von Plattformen bei Hass und Hetze im Netz stärker in die Pflicht zu nehmen. Inwieweit sich die Betreiber von sozialen Netzwerken selbst strafbar machen, wenn sie von strafbaren Inhalten Kenntnis haben und diese nicht zeitnah löschen, sei bislang rechtlich nicht geklärt. Der Bund müsse strafrechtliche Handlungsmöglichkeiten prüfen. Bisher liege der Fokus des Strafrechts auf den Verfassern, die Betreiber der Netzwerke müssten höchstens Bußgelder zahlen. "Das zahlen die alles aus der Portokasse", sagte Eisenreich. Es sei nicht in Ordnung, dass die Unternehmen von den Gewinnen profitierten und die Probleme Demokratie und Rechtsstaat überließen. Auf die Forderung nach einer bundesweiten Meldestelle für Hasskommentare, wie von Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) vorgeschlagen, konnten sich die Länderministerinnen und -minister dagegen nicht einigen. Stattdessen sollen vorhandene Angebote der Länder verbessert und in einem leicht auffindbaren Online-Portal aufgelistet werden. Der bayerische Justizminister kündigte an, in etwa zwei Wochen ein Angebot für die Menschen im Freistaat vorzustellen. Dafür wolle man die baden-württembergische Meldestelle "Respect!" mitnutzen.

Rückschritte des DSA gegenüber deutschem NetzDG kompensieren

Weiter beschäftigten sich die Ministerinnen und Minister mit der weitgehenden Ablösung des NetzDG durch den Digital Services Act (DSA). Sie fordern den Bund auf zu prüfen, mit welchen Maßnahmen Rückschritte gegenüber dem NetzDG kompensiert werden können.

Schwarzfahren

Berlin und Bremen hatten einen Antrag zur Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein eingereicht. Eine Mehrheit fand sich bei der Justizministerkonferenz dafür nicht - obwohl eine Initiative zuvor mehr als 100.000 Unterschriften dafür überreicht hatte. Bisher drohen Schwarzfahrern neben Geldstrafen auch Haftstrafen bis zu einem Jahr. Das Thema sei "juristisch nicht zu lösen", sagte Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am Donnerstag. Stattdessen müsse armen und suchtkranken Menschen, die wegen Fahrens ohne Fahrschein besonders häufig ins Gefängnis müssten, "auf sozialer und Betreuungsseite" geholfen werden. Man sei sich aber unter den Ländern einig, dass es bei dem Thema "Beratungsbedarf" gebe. Daher sollen sich nun die Amtschefs der Ministerien damit beschäftigen.

BGB-Update für Zivilprozess der Zukunft

Die Justizministerinnen und -minister fordern, den Zivilprozess fit für die Zukunft zu machen und schlagen auf Vorschlag Bayerns ein überfälliges Update im Hinblick auf die Schriftform im BGB vor. Nach geltendem Recht könnten Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei den Gerichten mit einfacher Signatur eingereicht werden, erläutert das Justizministerium Bayern. Beispielsweise bei Kündigungen in anwaltlichen Schriftsätzen genüge dies dem – hiervon zu unterscheidenden – Erfordernis im BGB für die elektronische Form aber nicht. Eisenreich: "Wer seine Klage analog einreicht, kann beispielsweise zugleich in seiner Klage die Kündigung des Mietverhältnisses erklären. Bei einer digitalen Klageerhebung ist das derzeit nicht ohne weiteres möglich. Das ist ein Wertungswiderspruch. Das Gesetz benötigt an dieser Stelle ein Update. Bayern schlägt deshalb vor, eine neue Kategorie der Schriftsatzform einzuführen."

Vorsorgedokumente im Zentralen Vorsorgeregister digital zugänglich machen

Die Justizministerinnen und -minister setzen sich außerdem auf Antrag Bayerns und Nordrhein-Westfalens dafür ein, dass der Wille eines Patienten den Arzt so schnell wie möglich erreichen soll. Deshalb fordert die Konferenz laut JM Bayern, alle Vorsorgedokumente (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung) im Zentralen Vorsorgeregister (ZVR) digital zugänglich zu machen, wenn der Aussteller dies wünscht.

Namensrecht

Das deutsche Namensrecht soll nach dem Willen der Konferenz reformiert werden. Das vom Grundsatz der Namenskontinuität geprägte Regelwerk sei "wenig flexibel, kompliziert und in manchen Bereichen auch in sich widersprüchlich", heißt es in dem Beschluss. Ein modernes Namensrecht müsse dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, Vielfalt bei Lebensläufen von Familien und Belangen nationaler Minderheiten Rechnung tragen.

Maßnahmen gegen Anstieg von Indexmieten gefordert

Die Konferenz befasste sich außerdem auf Initiative Hamburgs mit dem Schutz von Mieterinnen und Mietern. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten solle der Bund Maßnahmen gegen einen drohenden weiteren starken Anstieg der Indexmieten ergreifen.

Pflichtversicherung für Elementarschäden soll geprüft werden

Auf Initiative Nordrhein-Westfalens haben die Länder zudem eine intensive verfassungsrechtliche Prüfung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden durch die Justizministerien der Länder initiiert. In der Vergangenheit waren gegen eine solche verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Hintergrund ist die verheerende Hochwasserkatastrophe des letzten Jahres. Eine Pflichtversicherung ist nach Einschätzung der Justizminister rechtlich möglich. Eine solche Pflicht für private Eigentümer von Wohnhäusern sei "verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen", heißt es im Beschluss der Konferenz. Es müssten aber "substanzielle Selbstbehalte oder vergleichbare Instrumente vorgesehen werden". 2017 hatte eine Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz noch "durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken" gegen eine solche Pflichtversicherung angeführt. Nach einer erneuten Prüfung kam die Länder-Arbeitsgruppe aber nun zu einem etwas anderen Schluss.

Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

Auf Initiative Hessens fordert die Jumiko eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verwaltungsprozess. Demnach halten es die Justizministerinnen und Justizminister es für erforderlich, verwaltungsgerichtliche Verfahren weiter zu optimieren. Zudem erwarten die Länder, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann sie frühzeitig und umfassend in seine Reformvorschläge einbindet. Dies meldete das Justizministerium Hessen.

Wiederaufnahme: Keine Mehrheit für Aufhebung der StPO-Vorschrift

Diskutiert wurde die aktuelle Fassung des § 362 Nr. 5 StPO. Durch diese Vorschrift ist es seit dem 01.01.2022 möglich, zuungunsten eines Freigesprochenen bei Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben. In Niedersachsen wurde daraufhin eine Person in Untersuchungshaft genommen. Das Oberlandesgericht Celle hat diese Entscheidung bestätigt, sehr wahrscheinlich werde sich demnächst das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall befassen, so das JM Bayern. Hamburg habe verfassungsrechtliche Bedenken und auf der Jumiko den Vorschlag gemacht, den Bundesjustizminister aufzufordern, die Initiative zur Aufhebung der Vorschrift zu ergreifen. Der Hamburger Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit. Havliza: "Die Argumente in dieser Frage sind ausgetauscht. Ein erstes Gericht hat bereits entschieden, dass die Vorschrift verfassungsgemäß ist. Bald wird wohl Karlsruhe entscheiden. Damit ist eine verfassungsrechtliche Frage dort, wo sie hingehört. Die Politik ist gut beraten, diesen Gang des Verfahrens zu respektieren."

Britta Weichlein, 3. Juni 2022 (ergänzt durch Material der dpa).