Beschlüsse der virtuellen Herbst-Justizministerkonferenz
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Die Herbstkonferenz der Justizminister der Länder, die in diesem Jahr coronabedingt digital stattfand, ist – anders als die Sommerkonferenz – mit einigen formalem Beschlüssen zu Ende gegangen. So sollen hartnäckige Stalker härter bestraft werden können. Eine Wiederaufnahme von Verfahren soll bei schwersten Verbrechen in erweitertem Maße möglich sein. Außerdem soll sich der Gesetzgeber dem Thema "Legal Tech" widmen und zulässige Geschäftsmodelle regeln.

Vorsitzende mit Ergebnissen zufrieden

Auf zwei Tage war die JuMiKo eigentlich ausgelegt. Doch schon am Abend des ersten Tages hatten die Ministerinnen und Minister die Tagesordnung abgearbeitet. Die Vorsitzende der JuMiKo, Claudia Schilling, zog ein positives Fazit: "Es war – coronabedingt – die wohl ungewöhnlichste JuMiKo in der langen Geschichte dieser Konferenz, und natürlich ist es etwas Anderes, sich nur auf dem Monitor zu sehen, als sich persönlich zu begegnen. Aber nichtsdestotrotz konnten wir gemeinsam eine Reihe wichtiger justizpolitischer Impulse setzen."

Reform des Verkehrsstrafrechts gefordert

Zusammen mit Nordrhein-Westfalen forderte Bayern eine große Verkehrsstrafrechtsreform. Grobe Verstöße gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs mit Todesfolge hätten eine Debatte über angemessene Strafen ausgelöst, so das Justizministerium Bayern. Die Konferenz habe für den gemeinsamen Vorschlag von Bayern und Nordrhein-Westfalen gestimmt, eine qualifizierte Strafandrohung für Verkehrsverstöße mit leichtfertig herbeigeführter Todesfolge einzuführen. Bei Trunkenheitsfahrten mit Todesfolge sehe das geltende Gesetz in Deutschland nur Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor. Das steht nach Ansicht des bayerischen Justizministers Georg Eisenreich (CSU) in keinem Verhältnis zu den dramatischen Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer bei solchen Unfällen. Wer betrunken am Steuer den Tod Dritter leichtfertig verursacht, muss seiner Ansicht nach mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können. Außerdem sei die Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat auf sechs Monate zu erhöhen. Das sollte für alle Verkehrsverstöße gelten, bei denen der Tod Dritter leichtfertig herbeigeführt wird, meint Eisenreich

Cold Cases: Wiederaufnahme eines Verfahrens trotz Freispruchs

Auch dem Thema "Cold Cases" widmete sich die Konferenz. Gemeint seien Kapitalverbrechen, die trotz intensiver Ermittlungen für Jahrzehnte ungelöst blieben, erläuterte das bayerische Ministerium. Durch verbesserte Kriminaltechniken wie DNA-Analysen könnten einige dieser "Cold Cases" mittlerweile jedoch aufgeklärt werden. Die Konferenz habe sich auf Initiative Bayerns dafür ausgesprochen, sich für eine verfahrensmäßig angemessene Behandlung der Täter einzusetzen. Dafür würden zwei Änderungen angeregt: Zum einen sollen Verfahrensregeln, die zum Schutz von Jugendlichen oder Heranwachsenden beschlossen wurden, nicht länger für inzwischen erwachsene Angeklagte gelten. Zum anderen habe die Konferenz dafür gestimmt, die StPO-Vorschriften zur Wiederaufnahme von Verfahren bei schwersten Verbrechen zu erweitern. Täter könnten nach einem rechtskräftigen Freispruch grundsätzlich nicht mehr belangt werden. Die bayerische Justiz wolle zum Beispiel bei Mord oder Völkermord eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulasten eines freigesprochenen Angeklagten zulassen, wenn durch neue Kriminaltechnik doch noch eine Verurteilung erfolgen kann.

Legal Tech – Regeln für Inkasso-Dienste im Internet

Zum Thema "Legal Tech" habe sich die Justizministerkonferenz auf Initiative Bayerns dafür ausgesprochen, dass der Gesetzgeber regeln muss, welche Geschäftsmodelle zulässig sind und welche nicht. "Legal Tech ist heute ein digitales Massengeschäft", sagte Eisenreich. Verbraucher und Unternehmen bräuchten in diesem Bereich Rechtssicherheit. Die hohe Qualität der Rechtsberatung müsse erhalten bleiben. Das Kerngeschäft der Rechtsdienstleistung müsse der Rechtsanwaltschaft vorbehalten bleiben. Die Verbraucher müssten zudem über die begrenzte Aussagekraft automatisierter Rechtsauskünfte, die Qualität der rechtlichen Prüfung und über die bestehenden Risiken von Mandatierung und Prozessführung aufgeklärt werden.

Zivilprozess fit für die Zukunft machen

Der Zivilprozess soll zudem fit gemacht werden für die Anforderungen des digitalen Zeitalters. Derzeit erarbeitet die Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses" unter dem Vorsitz des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Thomas Dickert, Reformansätze. Auf Initiative Bayerns habe sich die Justizministerkonferenz dafür ausgesprochen, dass das Bundesjustizministerium eine Kommission zu dem Reformvorhaben einsetzen soll. Es gehe darum, die Chancen der Digitalisierung auch in der Justiz nutzen, so Eisenreich. Voraussetzung hierfür sei ein modernes Prozessrecht. Hier gebe es Handlungsbedarf: Die ZPO sei für die Papierakte geschrieben worden, nicht für die E-Akte. In der Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses" leiste die Richterschaft derzeit wertvolle Vorarbeit. Auf dieser guten Grundlage müssten zügig konkrete Reformvorschläge entwickelt werden.

Schutz vor hartnäckigen Stalkern verbessern

Wie das bayerische Justizministerium weiter mitteilte, hat sich die Konferenz auf Initiative Bayerns des Themas "Weitere Reform des Stalking-Paragrafen 238 StGB" angenommen. Die Konferenz habe sich dafür ausgesprochen, die Einführung einer neuen strafschärfenden Regelung für besonders hartnäckige Täter zu prüfen. Daneben solle auch die Sicherungshaft erleichtert angeordnet werden können.

Kostenbeteiligung des Bundes in Staatsschutzsachen

Die Herbstkonferenz hat sich laut bayerischem Justizministerium zudem dafür ausgesprochen, den Bund an den Kosten für die vor den Oberlandesgerichten verhandelten Staatsschutzsachen zu beteiligen. Dabei handele es sich zumeist um politisch motivierte Straftaten, die sich gegen den Staat oder seine Einrichtungen richten. 

Qualität der Patientenverfügung verbessern

Die Justizministerkonferenz hat sich laut Justizministerium Bayern auch dafür ausgesprochen, die Qualität der Patientenverfügung zu verbessern. Zwar hätten bereits – nach jüngeren Studien des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands – 43% der Deutschen eine solche Verfügung. Allerdings sei nach dieser Studie ein beträchtlicher Teil, nämlich 44% der abgegebenen Formulare nicht vollständig oder nicht nachvollziehbar ausgefüllt. Oft erreichten sie den behandelnden Arzt nicht. Bayern schlägt daher vor, das Zentrale Vorsorgeregister künftig für die Patientenverfügung zu öffnen. Dort solle die Verfügung auch in digitaler Form freiwillig gespeichert werden können.

Täterermittlung im Internet verbessern

Die Verbesserung der Täterermittlung im Internet, vor allem im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern, machte das Justizministerium Niedersachsen zum Thema. Wie es mitteilt, stimmte eine Mehrheit der Länder für eine Verpflichtung der Netzbetreiber, die sogenannten Port-Nummern zu speichern. Ohne diese Port-Nummern sei es in der Regel nur schwer möglich, eine Individualisierung des Nutzers und damit eine Identifizierung des Täters vorzunehmen, erläutert das niedersächsische Ministerium.

Digitaler Strafantrag

Niedersachsen spricht sich eigenen Angaben zufolge zudem dafür aus, die rechtlichen Hürden für die Verfolgung von Hate Speech im Netz zu senken. Dazu soll es nach dem Willen der niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza (CDU) einfacher werden, einen Strafantrag wegen einer Beleidung zu stellen, zum Beispiel über eine digitale Lösung. Gemeinsam mit der hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (ebenfalls CDU) sei ein entsprechender Antrag bei der Justizministerkonferenz eingebracht worden. Die Mehrheit der Bundesländer habe das zuständige Bundesjustizministerium aufgefordert, den Vorschlag zu prüfen.

Möglichkeit einer Mandatspause für Frauen in Mutterschutz

Für Kühne-Hörmann lag zudem besonderes Augenmerkt auf einer Initiative, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Personen in Spitzenpositionen verbessern soll: "Im aktuellen Mutterschutz- und Aktiengesetz fehlt eine gesetzliche Grundlage, die es auch für Frauen in Spitzenpositionen ermöglicht, Familie und Beruf zu vereinbaren", sagte die Ministerin. Die Gesetze benötigten ein zeitgemäßes Update. Frauen dürften nicht länger vor die unmögliche Wahl zwischen Beruf oder Familien gestellt werden. Kühne-Hörmann fordert, dass die Zulässigkeit der Wahrnehmung von Mutterschutz und Elternzeit durch eine Vorständin oder Geschäftsführerin klargestellt und die Möglichkeit einer Mandatspause eingeführt wird.

Gewalt gegen Mädchen und Frauen wirksam bekämpfen

Auf Anregung Berlins nahmen die Justizminister einen Beschlussvorschlag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Mädchen und Frauen an. In ihrem Beschluss hält es die Justizministerkonferenz für erforderlich, die Fragen der justiziellen statistischen Erhebung, der strafrechtlichen und strafprozessualen Möglichkeiten, jedoch auch der zivil- und insbesondere familienrechtlichen Ansatzpunkte einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Sie beauftragen den Strafrechtsausschuss, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz der Länder Berlin und Hamburg einzurichten, und bitten das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sich an der Arbeitsgruppe zu beteiligen. Die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen soll in die Prüfungen einbezogen werden.

Unions-Justizminister für fairere Länder-Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren des Bundes

Wie das Ministerium aus Hessen mitteilt, haben die Unions-Justizminister abschließend noch einen gemeinsamen Appell an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) gerichtet: Die Beteiligung der Länder bei Gesetzgebungsverfahren des Bundes dürfe nicht unkollegial und ohne Rücksicht auf die Belange der Praxis ablaufen. Dies laufe dem Föderalismus zuwider. In der Vergangenheit seien die Interessen der Länder oft ignoriert worden: Beteiligungsfristen seien zu kurz gewesen oder Stellungnahmen gar nicht einbezogen worden. "Momentan ist die Befassung des Bundestages mit Länderinitiativen die Ausnahme und das Verschleppen der Gesetzentwürfe der Länder die Regel. Damit wird das im Grundgesetz verankerte Gesetzesinitiativrecht des Bundesrats ausgehöhlt", sagte Bremens Ministerin Schilling. Sie freue sich sehr, dass nun von der JuMiKo die klare Botschaft ausgehe, dass das nicht mehr hinzunehmen ist. Die Bundesjustizministerin sei nun gefordert, dieses Problem anzugehen und Maßnahmen zu entwickeln, die eine konkrete Frist für die Beratung von Länderinitiativen im Bundestag sicherstellen. Auf der anderen Seite müsse bei Gesetzesvorhaben des Bundes eine sinnvolle Praxisbeteiligung der Landesjustizverwaltungen ermöglicht werden. "Die Zeiten, in denen die Länder aufgefordert werden, binnen zwei Tagen - sozusagen auf Zuruf - zu umfangreichen Gesetzesvorschlägen Stellung zu beziehen, müssen ein Ende finden", so die Ministerin abschließend.

Redaktion beck-aktuell, 30. November 2020.