Beschleunigungsgesetz stößt bei Experten auf Kritik

Das von der Bundesregierung mit Blick auf die Energiewende geplante Gesetz zur Beschleunigung der Verwaltungsverfahren ist gestern bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages auf viel Kritik gestoßen. Sachverständige aus der Richterschaft meldeten grundsätzliche Zweifel an, ob sich im gerichtlichen Verfahren überhaupt eine relevante Beschleunigung erreichen lässt.

Zweifel an Erreichbarkeit des Ziels

So wies Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, darauf hin, dass in der Praxis weitestgehend Einigkeit darüber bestehe, dass die Möglichkeiten der Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren nahezu ausgeschöpft seien. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen führten - mit Ausnahme der Verkürzung des Instanzenweges - "bestenfalls zu keiner Verzögerung der gerichtlichen Verfahren", sagte der Sachverständige. Ähnlich argumentierte die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht, Ulrike Bick. Das vom Gesetzentwurf formulierte Ziel sei "insofern praxisfremd, als es die wahren Gründe für die erheblich zu lange Planungsdauer großer Infrastrukturprojekte ausblendet", schrieb sie in ihrer Stellungnahme. Ferner führte sie aus, dass eine bessere Personalausstattung der Gerichte notwendig sei. Diese Forderung wurde auch von vielen anderen Sachverständigen erhoben. Der ehemalige BVerwG-Richter Peter Wysk verwies auf die Vorgaben des Unions- und Völkerrechts sowie die Rechtsprechung des EuGH. Daran gemessen sei das "prozessuale Beschleunigungspotenzial" durch frühere Beschleunigungsgesetzgebungen "weitgehend ausgeschöpft".

Auch positive Ansätze am Gesetzentwurf entdeckt

Etwas positiver äußerte sich der Richter am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, Fabian Scheffczyk. Die vorgeschlagenen Regelungen könnten "überwiegend dazu beitragen, gewisse Beschleunigungseffekte im gerichtlichen Verfahren zu erzielen". Allerdings nur, wenn bei den Themen früherer Erörterungstermin und Klageerwiderungsfrist nachgesteuert werde. Grundsätzlich positiv wertete Ines Zenke den Entwurf. Die Rechtsanwältin hob besonders die geplanten Regelungen zur innerprozessualen Präklusion und Priorisierung hervor.

Früherer Erörterungstermin besonders kritisiert

Hingegen forderte Franziska Heß, Rechtsanwältin und stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Landesverband Sachsen, die Abgeordneten dazu auf, den Entwurf nicht weiter zu verfolgen. "Die geplanten Regelungen sind nicht nur nicht hilfreich, sondern schädlich", sagte sie. Unisono kritisch gesehen wurde von den sich dazu äußernden Sachverständigen der im Entwurf vorgesehene frühere Erörterungstermin in Gerichtsverfahren zu besonders bedeutsamen Vorhaben. Bei zu priorisierenden Verfahren soll das Gericht danach innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Klageerwiderung einen Erörterungstermin einberufen, um eine gütliche Einigung zu erzielen beziehungsweise eine Strukturierung des weiteren Verfahrens zu ermöglichen. Die Sachverständigen argumentierten, dass diese Regelung bei den Gerichten zu einem höheren Aufwand führen würde, ohne dass eine tatsächliche Beschleunigung zu erwarten sei.

Richterschaft gegen präklusionsbewehrte Klageerwiderungsfrist

Weniger eindeutig fiel das Meinungsbild der Sachverständigen zu der im Entwurf vorgesehenen Einführung einer präklusionsbewehrten Klageerwiderungsfrist von zehn Wochen im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aus. Kritik kam vor allem aus der Richterschaft. Sie zwinge die Beklagten zu einer kleinteiligen Erwiderung und führe zu weiterem Prüfungsaufwand bei Gericht, so Richter Seegmüller. Zudem könne dann, sollte ein Punkt nicht erwidert worden sein, eine eigentlich rechtmäßige Planung aufgrund der Präklusion für rechtswidrig erklärt werden müssen. Der Vorschlag konterkariere die Intention des Entwurfes, so Seegmüller. Für diese Regelung sprachen sich hingegen BUND-Vertreterin Heß, Rechtsanwalt Remo Klinger und Rechtsanwalt Philipp Schulte aus. Schulte schrieb in seiner Stellungnahme, dass durch so eine Frist verhindert werden könne, dass der Zeitgewinn durch die Klagebegründungsfrist "durch eine späte oder unvollständige Erwiderung der Beklagtenseite sogleich wieder eingebüßt wird". Diese Frist müsse aber auch für Beigeladene greifen.

Uneinigkeit bei geplanter Eilrechtsschutz-Vorschrift

Gestritten wurde auch hinsichtlich der Vorschriften zum Eilrechtsschutz im vorgeschlagenen § 80c Abs. 2 VwGO. In diesen Verfahren soll das Gericht bestimmte angegriffene Mängel an Verwaltungsakten außer Acht lassen können, wenn es davon ausgeht, dass der Mangel geheilt werden kann. BUND-Vertreterin Heß verwies hierzu auf europa- und verfassungsrechtliche Bedenken, Richterin Bick vertrat die Auffassung, dass die Regelung "keinen relevanten Anwendungsbereich" habe. Rechtsanwalt Klinger führte zudem aus, dass die Änderung gerade im Bereich der Windkraftanlagen nach hinten losgehen und den Ausbau der Windenergie in dieser Legislaturperiode deutlich ausbremsen könnte, sei dies doch der für dieses Verfahren relevante Bereich.  Für die Norm in modifizierter Form sprach sich hingegen die Rechtswissenschaftlerin Bettina Schöndorf-Haubold von der Justus-Liebig-Universität Gießen aus. Sie schlug zudem vor, eine entsprechende Kostenregelung zu finden. Wenn ein Kläger so durch seine Klage eine Heilung des Verwaltungsaktes anstoße, dürfe er nicht mit den Kosten belastet werden. Winfried Kluth vertrat die Ansicht, dass gegen diese Regelung - und die weiteren Regelungen in Abschnitt 80c zur Vollzugsfolgeabwägungen - rechtlich nichts einzuwenden sei. Es solle aber auch nicht erwartet werden, dass von dieser Regelung "ein spürbarer Beschleunigungseffekt ausgehen" werde, schrieb der Rechtswissenschaftler von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Redaktion beck-aktuell, Gitta Kharraz, 24. Januar 2023.