BDK: Die Pflege als Mafia-Geschäftsfeld

230 Pflegedienste stehen im Verdacht, bei der Abrechnung von Leistungen systematisch betrogen zu haben. Auffällig viele Beschuldigte sprechen Russisch. Für den Vize-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) ist die Sache ziemlich klar. Das milliardenschwere Geschäft mit pflegebedürftigen Menschen ist in Deutschland "ein Geschäftszweig der organisierten Kriminalität geworden“, sagt Ulf Küch. Welches Syndikat letztlich dahinter stecke, sei noch nicht klar, sagt Küch. "Die Politik spricht nicht gern drüber." Für ihn steht fest: "Die Spur führt ganz eindeutig nach Osteuropa.“

Viele Indizien für osteuropäisches Mafia-Gschäftsfeld "Pflegedienst"

Die Indizien, die die Ermittler aufzählen, sind in der Tat auffällig: Bei Razzien entdeckte Kalaschnikows und Scheinfirmen, mit denen Millionen aus Pflegediensten gezogen werden. Ein Hauptverdächtiger, der von Zielfahndern in Moskau aufgespürt wird. Sehr viele Verdächtige, die Russisch sprechen und aus ehemaligen Sowjetstaaten stammen. Ein intimes Wissen in Hunderten Unternehmen darüber, wie nicht erbrachte Pflegeleistungen unauffällig abgerechnet werden können. Beschuldigte, die auch in andere Machenschaften verwickelt sein sollen, die als klassische Geschäftsfelder von Mafia-Syndikaten gelten: Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen und Glücksspiel.

Ermittlungen laufen bereits seit 2014

Indes: Viele der Verdächtigen haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. "Unsere Beschuldigten sind russischsprachige Deutsche“, sagt ein Sprecher der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Ermittelt wird seit 2014 und allein dort inzwischen gegen fast 300 Verdächtige. Nach einer früheren Schätzung des Bundeskriminalamts könnte der Schaden bei einer Milliarde Euro pro Jahr liegen.

Fünf regionale Schwerpunkte

Der "Welt“ und dem "Bayerischen Rundfunk“ liegt nun ein Abschlussbericht einer Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen vor. Die Existenz der vertraulichen Verschlusssache wird zwar offiziell bestätigt, der Inhalt jedoch nicht. Bei den bundesweiten Ermittlungen soll sich demnach inzwischen ein Verdacht gegen 230 ambulante Pflegedienste ergeben haben. Dem Bericht zufolge sind Nordrhein-Westfalen, Berlin, Niedersachsen, Brandenburg und Bayern regionale Schwerpunkte. Gesteuert wurden die kriminellen Netze demnach überwiegend von Berlin aus. Die Verdächtigen stammten häufig aus Russland oder der Ukraine.

Schwerpunktstaatsanwaltschaften und spezielle Ermittlungsgruppen gefordert

Es handele sich um eine "organisierte Form“ des Betrugs, so die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Die Anklageschrift gegen neun Hauptverdächtige, von denen vier in Untersuchungshaft sitzen, ist aber noch nicht fertig. Das Düsseldorfer Verfahren umfasst auch nur einen kleinen Ausschnitt der verdächtigen Machenschaften. Allein in Bayern sollen etwa 15 weitere Verfahren anhängig sein. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wirft Bund und Ländern vor, es "der organisierten Kriminalität in der Pflege zu leicht“ zu machen. Es fehle an Schwerpunktstaatsanwaltschaften und speziellen Ermittlungsgruppen, sagte der Stiftungsvorsitzende Eugen Brysch.

BDK-Vize Küch: Pflegeunternehmen nicht unter Generalverdacht stellen

Bereits im September 2016 waren Polizisten zu einer bundesweiten Razzia ausgerückt. Rund 500 Polizisten, Staatsanwälte, Zöllner und Steuerfahnder waren im Einsatz. Insgesamt stellten die Ermittler mehrere Hundert Umzugskartons sicher, die in den vergangenen Monaten ausgewertet wurden. Unter den Fundstücken waren auch zwei halbautomatische Waffen und zwei – allerdings unbrauchbare – Kalaschnikows. BDK-Vize Küch warnt allerdings davor, die Pflegeunternehmen nun unter Generalverdacht zu stellen: "Die allermeisten arbeiten seriös.“

Redaktion beck-aktuell, Frank Christiansen, 31. Mai 2017 (dpa).

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