In beiden Verfahren geht es um die Auslegung des § 6 Abs. 5 SGB VI. Danach kann sich die Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht auch auf andere als die anwaltliche Tätigkeit erstrecken, wenn diese zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. Doch die Regelung sorgt immer wieder für Auseinandersetzungen zwischen Rechtsanwältinnen und -anwälten und der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV).
In den beiden am Mittwoch entschiedenen Verfahren ging es um zwei in der Praxis wichtige Fallgestaltungen. Zum einen um die Frage, ob unter § 6 Abs. 5 SGB VI nicht nur eine neue – nachgelagerte – Tätigkeit zu verstehen ist, sondern auch eine parallel zum Anwaltsberuf ausgeübte Tätigkeit. Zum anderen darum, was passiert, wenn sich bei dem Arbeitsverhältnis, auf das eine Befreiung erstreckt wurde, Änderungen ergeben. Umfasst die erstreckte Befreiung auch noch die geänderte Tätigkeit?
Erstreckung auf Nebentätigkeiten parallel zur anwaltlichen Tätigkeit
Das BSG hat jetzt erstmals klargestellt, dass eine Erstreckung gemäß § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI nicht nur auf neue Tätigkeiten statt der befreiten erfolgen kann, sondern auch für zusätzlich nebenher ausgeübte Beschäftigungen (Urteil vom 14.05.2025 – B 10/12 R 1/24 R). Die Klägerin, eine in Teilzeit angestellte Rechtsanwältin, wollte auch für eine befristete Nebentätigkeit befreit werden. Doch ihren Antrag lehnte die DRV ab.
Das SG hat der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben. Auf die Berufung der DRV hat das LSG diese Entscheidung "geändert" und die Klage abgewiesen. Das BSG hat jetzt das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Denn entgegen der Ansicht des LSG enthalte § 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI keine einschränkende Tatbestandsvoraussetzung dahingehend, dass die zeitlich begrenzte Tätigkeit die befreite Beschäftigung unterbrechen oder ihr zeitlich nachfolgen muss. Der offene Wortlaut der Norm biete dafür keinen Anhaltspunkt, meinen die Richterinnen und Richter in Kassel. Vielmehr erfasse die Regelung auch Fälle, in denen beide Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt werden.
BSG erleichtert Nebentätigkeiten
Auch den Gesetzesmaterialien lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass sich der Zweck der Erstreckungsregelung darauf beschränkt, ausschließlich den drohenden Wechsel des Alterssicherungssystems durch eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit zu vermeiden. Die Möglichkeit der Befreiung ziele nach der Gesamtkonzeption des Gesetzgebers vielmehr darauf ab, dort eine geschlossene Versicherungsbiografie aufzubauen und eine doppelte Beitragszahlungspflicht zu verhindern.
Mit der Entscheidung des BSG können insbesondere Rechtsanwälte, aber auch andere von der Versicherungspflicht befreite Freiberuflerinnen neben ihrer berufsspezifischen Tätigkeit auch eine berufsfremde – zeitlich befristete – Tätigkeit ausüben. Dies betrifft auch geringfügige Beschäftigungen, wenn dafür die Option der Zahlung von Versicherungsbeiträgen gewählt wird. Damit unterstützt das BSG den Gedanken der einheitlichen Versicherungsbiografie. Dies ist auch richtig, denn oftmals kann bei der befristeten Tätigkeit kein Anspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung (60 Beitragsmonate) erworben werden, sodass Rentenversicherungsbeiträge nutzlos geleistet würden.
Änderungen beim Arbeitsverhältnis
Einen komplizierten Fall hat das BSG im zweiten Verfahren sehr pragmatisch gelöst (Urteil vom 14.05.2025 – B 10/12 R 3/23 R). Die Klägerin gab ihre von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreite Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin auf und begann eine neue Tätigkeit als Referentin beim Sächsischen Landesrechnungshof. Der Arbeitsvertrag war befristet und die Frau von der Versicherungspflicht befreit worden. Später hoben der Arbeitgeber und die Klägerin unter Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrags den bisherigen einvernehmlich auf.
Den Antrag der Frau, ihre Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht zu verlängern, lehnte die DRV ab. Ihr Argument: Die neue Tätigkeit knüpfe nicht unmittelbar an ihre ursprüngliche Arbeit als Rechtsanwältin an, sondern es habe eine Lücke gegeben. Damit sei eine Erstreckung nicht mehr möglich.
Das SG hatte die DRV verurteilt, die Klägerin weiter zu befreien. Das LSG war anderer Ansicht gewesen. Nun hat das BSG beide Urteile geändert. Die DRV hätte die Befreiung gar nicht erst verlängern müssen. Dass die Anwältin weiterhin befreit sei, ergebe sich schon aus dem ersten Bescheid der DRV.
BSG: Prägende Charakteristika der Tätigkeit gleichgeblieben
Der Verwaltungsakt habe sich weder durch den Wechsel der befreiten Beschäftigung noch die arbeitsvertraglichen Änderungen im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Die prägenden Charakteristika der Beschäftigung sind gleichgeblieben und haben daher den Regelungsgegenstand des ursprünglichen Erstreckungsbescheids tatsächlich nicht entfallen lassen.
Dabei legt das BSG die Erstreckungsvorschrift in zeitlicher Hinsicht eng aus. Im Grundsatz könne eine zeitliche Erstreckung nur einmalig nach der beendeten Tätigkeit erfolgen. Eine weitere Verlängerung sei nicht möglich. Auch hier bliebt das BSG bei einer wortgenauen Auslegung, die keine Spielräume zugunsten sowohl der Ansicht der DRV als auch der Antragsteller ermöglicht. Das BSG hat so in beiden Fällen Klarheit zur Auslegung des § 6 Abs. 5 SGB VI geschaffen. Das schafft auch für die Antragsteller Planungssicherheit bei einem Tätigkeitswechsel.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Singen (Hohentwiel) und ehemaliger Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge u.a. zu berufsrechtlichen Themen.