Einsetzung eines Ferienausschusses kann in 2021 auf drei Monate verlängert werden
Gegenstand des Popularklageverfahrens ist die durch Gesetz vom 09.03.2021 in die Gemeindeordnung eingefügte und rückwirkend zum 12.02.2021 in Kraft getretene Vorschrift des Art. 120b Abs. 3 BayGO. Danach kann der Gemeinderat den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses, der grundsätzlich alle Aufgaben erledigt, für die sonst der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss zuständig ist, für das Jahr 2021 abweichend von Art. 32 Abs. 4 Satz 1 BayGO, der eine bestimmbare Ferienzeit bis zu sechs Wochen vorsieht, durch Beschluss auf drei Monate erhöhen. Für die Zeiträume, in denen er keinen Ferienausschuss einsetzt, kann er für die Dauer von bis zu drei Monaten einen beschließenden Ausschuss einsetzen, der die Befugnisse eines Ferienausschusses hat. Der Gemeinderat kann dessen Einsetzungszeitraum um jeweils bis zu weitere drei Monate, längstens bis zum Ablauf des 31.12.2021, verlängern. Die Beschlüsse bedürfen einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats. Endet die vom Deutschen Bundestag festgestellte epidemische Lage von nationaler Tragweite, treten Beschlüsse über die Einsetzung oder Verlängerung eines beschließenden Ausschusses mit den Befugnissen eines Ferienausschusses eine Woche nach dem Ende der epidemischen Lage mit Wirkung für die Zukunft außer Kraft.
Antragsteller befürchten Benachteiligung einzelner Gemeinderatsglieder und kleiner Fraktionen
Die Antragsteller - der bayerische Landesverband einer politischen Partei und 29 Weitere - machen geltend, Art. 120b Abs. 3 BayGO verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung (BV). Die Regelung habe zur Folge, dass einzelne Gemeinderatsmitglieder oder kleine Fraktionen bei einer Beschlussfassung in den neu vorgesehenen beschließenden Ausschüssen gänzlich von der Teilnahme an Sitzungen ausgeschlossen seien. Darin liege eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Gemeinderatsmitgliedern, die in den beschließenden Ausschüssen mitarbeiteten. Die durch Art. 47a GO ermöglichten Hybridsitzungen seien im Vergleich zu beschließenden Ausschüssen gemäß Art. 120b Abs. 3 GO ein milderes Mittel. Zudem sei es mit Blick auf die inzwischen vorgesehenen und überall ergriffenen Hygienemaßnahmen auch möglich und zumutbar, Präsenzsitzungen durchzuführen. Das Ziel, den Schutz der Gesundheit zu gewährleisten und Neuinfektionen zu verhindern, stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Grundrechtseingriff, da neben der Möglichkeit von Hybridsitzungen oder Video-konferenzen auch Schnelltests zur Verfügung stünden.
BayVerfGH: Art. 120b Abs. 3 BayGO verstößt gegen Grundsatz der Wahlgleichheit
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die zulässige Popularklage nun für begründet erklärt. Art. 120b Abs. 3 GO sei mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit unvereinbar und nichtig. Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folge in der repräsentativen Demokratie das Gebot, die gewählten Abgeordneten in Statusfragen sowie bei der Ausübung ihrer Rechte gleich zu behandeln. Das Gebot der Gleichbehandlung komme gemäß Art. 12 Abs. 1 BV auch mit Blick auf die Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder zum Tragen. Obwohl der Gemeinderat kein Parlament, sondern ein Verwaltungsorgan sei, verkörpere er auf der kommunalen Ebene in gleicher Weise das System der repräsentativen Demokratie wie der Bayerische Landtag auf Landesebene. Dies stehe der Bildung von - auch beschließenden - Ausschüssen unter Wahrung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit grundsätzlich nicht entgegen, auch wenn durch die proportionale Sitzzuteilung und die jeweilige Ausschussgröße kleinere Fraktionen oder fraktionslose Ratsmitglieder bei der Zuteilung der Ausschusssitze leer ausgehen könnten. Die Übertragung von Befugnissen auf Ausschüsse dürfe jedoch nicht dazu führen, dass die dem Gemeinderat - also der Gesamtheit seiner Mitglieder - nach Art. 12 Abs. 1 BV vorbehaltene Rolle als zentrale Führungsinstanz der Gemeinde angetastet werde.
Strenge Anforderungen an Rechtfertigung
Die in Art. 120b Abs. 3 BayGO enthaltenen Bestimmungen stellten eine weitgehende und schwerwiegende Durchbrechung des Grundsatzes der Wahlgleichheit dar, die sich nur dann rechtfertigen ließe, wenn sie zwingend erforderlich wäre, um die ansonsten vom Gemeinderat wahrgenommenen Aufgaben und Funktionen auch in den Zeiten des gegenwärtigen Pandemiegeschehens zu gewährleisten. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen genügten auch mit Blick auf den Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, den der Gesetzgeber grundsätzlich bei der Ausgestaltung rechtlicher Materien habe, nicht. Diesen Anforderungen würden die angegriffenen Bestimmungen nicht gerecht. Sie seien einheitlich zu betrachten und erlaubten im praktischen Ergebnis, den Gemeinderat im Sinn der Gesamtheit seiner Mitglieder für das gesamte Jahr 2021 durch einen Ausschuss zu ersetzen, der, soweit er nicht selbst Ferienausschuss sei, die gleichen umfassenden Rechte wie ein Ferienausschuss habe.
Zweidrittelmehrheit als einzige Voraussetzung für Verlängerung nicht ausreichend
Dabei stehe die Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses im Jahr 2021 von sechs Wochen (Art. 32 Abs. 4 Satz 1 BayGO) auf drei Monate zu erhöhen (Art. 120 b Abs. 3 Satz 1 BayGO), unter der einzigen tatbestandlichen Voraussetzung, dass eine solche Verlängerung mit einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats beschlossen werde (Art. 120b Abs. 3 Satz 4 BayGO); insoweit komme es insbesondere nicht auf den Fortbestand der vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite (vgl. Art. 120b Abs. 3 Satz 5 BayGO) an. Die Vorschrift erlaube damit allen Gemeinden - unabhängig davon, ob sie die Einsetzung des Ferienausschusses auf den Jahresbeginn vorgezogen heben oder nicht -, dessen Einsetzungszeitraum von sechs Wochen auf drei Monate mehr als zu verdoppeln, ohne dass diese Ausweitung den Fortbestand der epidemischen Lage von nationaler Tragweite voraussetzt. Eine solch weitreichende Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum des Ferienausschusses (abgesehen von der nötigen Zweidrittelmehrheit) ohne tatbestandliche Voraussetzungen erheblich zu verlängern, könne mit Blick auf die Schwere des Eingriffs in das Gebot der Gleichbehandlung der gewählten Gemeinderatsmitglieder keinen Bestand haben. Da die Problematik gerade im Fehlen tatbestandlicher Voraussetzungen bestehe, sei auch kein Raum für eine verfassungskonforme Auslegung.
Auch keine ausreichenden Einschränkungen für Einsetzung eines beschließenden Ausschusses
Die Möglichkeit, für bis zu drei Monate einen beschließenden Ausschuss mit den Befugnissen eines Ferienausschusses einzusetzen und diese Einsetzung in späteren Sitzungen um jeweils bis zu drei Monate, längstens bis zum Ablauf des 31.12.2021, zu verlängern (Art. 120b Abs. 3 Sätze 2 und 3 BayGO), sei im Ergebnis ebenso zu bewerten. Tatbestandliche Voraussetzung sei insoweit der Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Ratsmitglieder (Art. 120 b Abs. 3 Satz 4 BayGO) und der Fortbestand der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Art. 120b Abs. 3 Satz 5 BayGO). Darüber hinaus gebe es keinerlei Einschränkungen, mit denen dem Umstand Rechnung getragen würde, dass die Regelung zur Einsetzung eines beschließenden Ausschusses mit außerordentlichen Befugnissen lediglich als ultima ratio zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Gemeinderats in der Pandemie in Betracht kommt. So werde insbesondere nicht als Voraussetzung gefordert, dass Präsenzsitzungen mit Blick auf die Größe des jeweiligen Gemeinderats und die ihm zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten unter den Bedingungen der Pandemie nicht sicher durchführbar seien. Zudem kämen etwa Hybridsitzungen, bei denen ein Teil der Gemeinderatsmitglieder der Präsenzsitzung per Ton-Bild-Übertragung zugeschaltet sei, als milderes Mittel in Betracht.
Bestandsschutz für bereits getroffene Beschlüsse
Zur Vermeidung der Rückabwicklung einer nicht absehbaren Zahl zwischenzeitlich von Ausschüssen im Sinn des Art. 120b Abs. 3 BayGO getroffener Beschlüsse erachtete es der VerfGH für geboten, die bis zur Bekanntgabe dieser Entscheidung von solchen Ausschüssen gefassten Beschlüsse von der Nichtigkeit der ihrer Bildung zugrunde liegenden Bestimmungen unberührt zu lassen. Außerdem sei es geboten, Gemeinden, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung im Jahr 2021 bereits einen Ferienausschuss von längstens sechs Wochen eingesetzt hatten, die Möglichkeit zu geben, für die eigentliche Ferienzeit erneut einen Ferienausschuss einzusetzen.