Bayerns Ausgangsbeschränkungen im ersten Lockdown waren verfassungsgemäß

Eine Popularklage gegen die bayerische Regelung zu Ausgangsbeschränkungen während des ersten Lockdowns im März 2020 war nun auch in der Hauptsache erfolglos. Der Verfassungsgerichtshof des Landes entschied, dass die angegriffenen Vorschriften mit dem Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung vereinbar waren und die Grundrechte der Bayerischen Verfassung nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt haben.

Ausgangsbeschränkungen im März 2020

Gegenstand des Popularklageverfahrens war die Regelung zur Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie in der vom 21. bis 31.03.2020 geltenden Fassung. Danach war das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Triftige Gründe waren insbesondere: berufliche Tätigkeiten, Arztbesuche, Einkäufe für den täglichen Bedarf, Besuche bei Lebenspartnern, Alten und Kranken, die Begleitung unterstützungsbedürftiger Personen und Minderjähriger, die Begleitung von Sterbenden sowie Beerdigungen, Sport und Bewegung an der frischen Luft, die Versorgung von Tieren.

Verletzung mehrerer Grundrechte geltend gemacht

Der Antragsteller macht geltend, die angegriffene Verordnungsregelung habe gegen mehrere Grundrechte der Bayerischen Verfassung verstoßen. Sie sei von der Ermächtigungsgrundlage der §§ 28, 32 IfSG in der damals gültigen Fassung nicht gedeckt gewesen. Eine derartige Maßnahme hätte aufgrund des Wesentlichkeitsgrundsatzes der parlamentarischen Diskussion und Beschlussfassung bedurft. Sie habe auch gegen das bei der Einschränkung von Grundrechten stets zu beachtende Übermaßverbot verstoßen. Es bestünden gewichtige Zweifel, ob Ausgangsbeschränkungen geeignet seien, die Übertragung des Virus SARS-CoV-2 entscheidend zu verringern. Sie seien auch nicht erforderlich gewesen, da sich weniger belastende Maßnahmen, wie zum Beispiel Kontaktverbote, aufgedrängt hätten. Die mit der Ausgangsbeschränkung verbundenen Belastungen hätten außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen gestanden. Der Normgeber habe sich einseitig auf den Schutz der Allgemeinheit fokussiert.

Klage nicht an Zulässigkeit gescheitert

Der Bayerische VerfGH hatte es mit Entscheidung vom 26.03.2020 im Eilverfahren abgelehnt, die Ausgangsbeschränkung vorläufig außer Vollzug zu setzen (COVuR 2020, 32). Nunmehr hat er die Popularklage in der Hauptsache abgewiesen. Sie sei zwar zulässig, obwohl die angegriffenen Bestimmungen zwischenzeitlich außer Kraft getreten sind. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die aufgeworfene Frage für noch anhängige behördliche und fachgerichtliche Verfahren Bedeutung erlangen kann. Die Popularklage sei aber unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften seien mit dem Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung vereinbar gewesen und hätten Grundrechte der Bayerischen Verfassung nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt.

Zumindest keine offensichtliche Abweichung von Vorgaben der Ermächtigung

Der VerfGH habe eine auf einer bundesrechtlichen Ermächtigung beruhende Vorschrift des Landesrechts - anders als die Fachgerichtsbarkeit - nicht umfassend daraufhin zu überprüfen, ob der Normgeber die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm zutreffend beurteilt hat. Die Rüge, die beanstandete Regelung sei durch die bundesrechtliche Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz a. F. nicht gedeckt gewesen, könne nur mittelbar als Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verankerten Rechtsstaatsprinzips geprüft werden. Eine offensichtliche und gravierende Abweichung des § 1 Abs. 4, 5 und 6 der angegriffenen Verordnung von den Vorgaben der Ermächtigung lasse sich jedoch nicht feststellen. Auch das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot wurde laut VerfGH gewahrt.

Mangels unmittelbaren Zwangs kein Eingriff in Freiheit der Person

In den Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Person (Art. 102 Abs. 1 BV) sei nicht eingegriffen worden, so der VerfGH weiter. Zwar sei den betroffenen Personen aufgegeben worden, die Wohnung nicht ohne triftigen Grund zu verlassen. Es sei jedoch keine durch unmittelbaren physischen Zwang oder vergleichbare psychische Zwangseinwirkung hervorgerufene Festhaltung der Normadressaten in ihren Wohnungen erfolgt. Die angegriffene Rechtsverordnung habe keine Eingriffsbefugnisse vorgesehen, mittels derer ein Verbleiben der betroffenen Personen in ihren Wohnungen oder eine Rückkehr zu diesen unter Einsatz direkten Zwangs hätte durchgesetzt werden können. In die körperliche Bewegungsfreiheit in dem Sinn, sich von einem bestimmten Ort tatsächlich fortbewegen zu können, sei nicht mittels unmittelbaren Zwangs eingegriffen worden.

Einschränkung anderer Grundrechte erfolgte aus legitimem Grund

Art. 109 Abs. 1 BV (Freizügigkeit), wonach das Recht geschützt ist, sich an jedem beliebigen Ort in Bayern zu grundsätzlich jedem beliebigen Zweck aufzuhalten, sei ebenso wenig rechtswidrig verletzt worden wie die körperliche Unversehrtheit, das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie sowie die Handlungs- und Berufsfreiheit. Der Normgeber habe mit der angegriffenen Regelung das Ziel verfolgt, Ansteckungen mit dem Virus SARS-CoV-2 zu vermeiden und dadurch Leben und Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dabei habe es sich um einen legitimen Regelungszweck gehandelt, der eine Einschränkung der Grundrechte rechtfertigen konnte.

Ausgangsbeschränkung geeignet und erforderlich zur Eindämmung der Infektionen

Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft sei die respiratorische Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel der Hauptübertragungsweg von SARS-CoV-2. Die vorgesehene Ausgangsbeschränkung, die zur Einschränkung persönlicher Kontakte führte, sei daher geeignet gewesen, der weiteren Ausbreitung entgegenzuwirken. Sie habe während der Geltungsdauer der angegriffenen Regelung vom 21. bis zum 31.03.2020 eine zur Erreichung des Regelungsziels erforderliche Maßnahme dargestellt. Es sei nicht erkennbar, dass der Normgeber im fraglichen Zeitraum andere, weniger belastende Maßnahmen hätte ergreifen müssen, um dem Anstieg der Infektionszahlen zu begegnen. Insbesondere durfte er laut VerfGH ein auf Maßnahmen für besonders gefährdete Personengruppen beschränktes Vorgehen als weniger wirksam ansehen als die gewählte Kombination aus speziellen Maßnahmen (zum Beispiel Besuchsverbote in Krankenhäusern und Altenheimen) und genereller Ausgangsbeschränkung. Auch rückblickend könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass der Rückgang der Infektionszahlen, der in Bayern während der Sommermonate 2020 zu verzeichnen war, ohne die angegriffene Ausgangsbeschränkung in gleicher Weise eingetreten wäre.

Volksgesundheit durfte der Vorrang gegeben werden

Die mit der angegriffenen Regelung verbundenen Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit hätten auch nicht in unangemessenem Verhältnis zu den legitimen Gemeinwohlzwecken gestanden, denen die Grundrechtsbeschränkung diente. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Einschätzung des Robert-Koch-Instituts habe der Verordnungsgeber davon ausgehen dürfen, dass das Virus eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung darstellte, und diesen Rechtsgütern höheres Gewicht einräumen dürfen als den durch die Ausgangsbeschränkung hervorgerufenen Beeinträchtigungen.

Zumindest kurzfristige Ausgangsbeschränkungen mit Übermaßverbot vereinbar

Der VerfGH hat anlässlich des vorliegenden Popularklageverfahrens nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und Sicherungen die staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit lang andauernde Eingriffe in die Grundrechte rechtfertigt. Die vom Antragsteller angegriffene Rechtsverordnung habe lediglich vom 21. bis zum 31.03.2020 gegolten. Für diesen begrenzten Zeitraum sei ein Verstoß gegen das Übermaßverbot nicht festzustellen.

Redaktion beck-aktuell, 12. Februar 2021.