Kirche darf Strafakte gegen unschuldigen Priester nicht einsehen

Die Katholische Kirche kann keine Akteneinsicht in ein Strafverfahren gegen einen Priester verlangen, wenn dieses bereits wegen fehlenden Tatverdachts eingestellt worden ist. Das hat das BayObLG entschieden. Die Strafverfolgungsbehörde hatte dem Wunsch des Bistums Regensburg zuvor stattgegeben.

Die Zuständigkeiten des BayObLG sind gegenüber früheren Zeiten zwar begrenzt, aber über Justizverwaltungsakte darf es urteilen (§ 23 Abs. 1 EGGVG in Verbindung mit Art. 12 Nr. 3 des bayerischen Gerichtsverfassungsausführungsgesetzes – AGGVG). So auch im Fall eines unschuldigen Priesters, gegen den die Regensburger Staatsanwaltschaft (Außenstelle Straubing) erfolglos wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Verbreitung jugendpornografischer Inhalte über bestimmte Web-Accounts ermittelt hatte.

Die Wohnung des Klerikers war durchsucht worden, dabei wurden Datenträger sichergestellt. Der Generalvikar seines Diözesanbischofs hatte Strafanzeige und Strafantrag gegen den Mann gestellt und wollte nun auch die Ergebnisse der staatlichen Untersuchung auf den Tisch bekommen, um ein kirchenrechtliches Verfahren durchzuführen. Bis dahin wurde der Geistliche, der sämtliche Vorwürfe bestritt, von allen Aufgaben entbunden; auch wurde ihm jegliche Tätigkeit als Seelsorger untersagt. Der Verteidiger des Priesters brachte vor, in den Akten der Anklagebehörde seien "intime Details zu seinen sexuellen Vorlieben" gelandet.

Fotos und Chats

Obwohl die Kriminalpolizei den Verdacht nicht bestätigt fand und die Staatsanwaltschaft das Verfahren deshalb gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellte, beharrte das Bistum auf Einblick in die Unterlagen. Dem gaben die Strafverfolger denn auch mit Unterstützung der Münchener Generalstaatsanwaltschaft postwendend statt, wobei sie von der Akteneinsicht ausdrücklich einige Ausnahmen machten. Woraufhin sich der Rechtsanwalt des Priesters hilfesuchend an das BayObLG wandte. Dieses machte der Katholischen Kirche einen dicken Strich durch die Rechnung (Beschluss vom 15.01.2024 – 204 VAs 177/23): Nicht einmal eine bloße Auskunft sei zulässig (§ 474 Abs. 2 und 3 StPO) – geschweige denn eine Akteneinsicht (§ 474 Abs. 1 StPO). Der Mann werde sonst in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

Die ausführliche Begründung kreist vor allem um den Begriff der "öffentlichen Stellen" in Abs. 2, denn eine der in Abs. 1 genannten Justizbehörden sei die Religionsgemeinschaft sowieso nicht. Doch auch Ersteres stelle sie nicht dar. Zwar habe die Kirche bestimmte Rechte zur Selbstbestimmung, die ihr in Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 S. 1 WRV garantiert seien. Doch bedeute die Stellung öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften als Körperschaften keine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, schreiben die Richter und Richterinnen. Jene leiteten ihre Betätigungsvollmacht vom Staat her und seien in diesen eingegliederte Verbände, den Glaubensgemeinschaften sei dagegen lediglich ein "öffentlicher Status" zuerkannt. Schließlich sind sie – von Ausnahmen wie der Erhebung von Kirchensteuern abgesehen – der Entscheidung zufolge nicht hoheitlich tätig. In einem weltanschaulich neutralen Staat wie hierzulande gebe es eben keine "Staatskirche".

"Zahlreiche Missbrauchsvorwürfe"

Somit werde das Bistum auch bei Ergreifung dienstrechtlicher Maßnahmen, die dem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren wesensgleich seien, nicht wie eine öffentlich-rechtliche Körperschaft des Bundes oder der Länder hoheitlich tätig. Ohnehin sei der Begriff der "öffentlichen Stellen" eng auszulegen, obwohl diese prinzipiell im Umgang mit Daten vertrauenswürdiger sein dürften als Privatpersonen und "sonstige Stellen", die unter noch strengeren Voraussetzungen ebenfalls Auskünfte verlangen könnten (§ 475 StPO). Zur Begründung macht der 4. Strafsenat in Nürnberg einen weiten Ritt unter anderem durch die Definitionen im BDSG und dem Datenschutzgesetz des Freistaats, wenngleich deren Normen erklärtermaßen nicht direkt anwendbar seien; ferner durch das Kirchen-, Verwaltungs- und Beamtenrecht.

Wäre nicht einmal jeder "Restverdacht" entfallen, hätte das Ergebnis allerdings auch anders aussehen können. "Überlegungen zum Schutz der Allgemeinheit und des Vertrauens in die Integrität bei besonders verantwortungsvoller Tätigkeit" könnten an sich ein Erfordernis zur Übermittlung begründen, schreiben die Oberstrichter. Schließlich liege es auf der Hand, dass der Verdacht der Vergewaltigung und der Verbreitung jugendpornografischer Inhalte Zweifel an der Eignung eines Betroffenen für die von ihm ausgeübte Tätigkeit des Priesteramts begründen könnte – "also eines Amtes, das ungeachtet der in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen zahlreichen Missbrauchsvorwürfe nach wie vor überwiegend von Personen bekleidet wird, in deren Integrität jedenfalls von einer hohen Anzahl der Gläubigen römisch-katholischen Bekenntnisses ein hohes Vertrauen gesetzt wird".

BayObLG, Beschluss vom 15.01.2024 - 204 VAs 177/23

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 13. September 2024.