Stufenzuordnung bei tariflicher Höhergruppierung

Die einschlägige Berufserfahrung kann ein bislang befristet Beschäftigter auch in einer niedrigeren Entgeltgruppe erlangen, sofern die höhere Bewertung nach der Wiedereinstellung aus der bloßen Erhöhung des Zeitanteils dieser Aufgaben resultiert. Der Beurteilungsmaßstab liegt dabei allein im Vergleich der fachlichen Anforderungen von bisheriger und nunmehr auszuübender Tätigkeit, bekräftigte das Bundesarbeitsgericht. Eine Teilzeittätigkeit stehe einer Anrechnung nicht entgegen.

Arbeitszeitanteil einer Sachbearbeiterin erhöhte sich von 35% auf 50%

Die Sachbearbeiterin einer Technischen Universität lag im Streit mit dem Freistaat Sachsen, ob die Berufserfahrung aus ihrer Vorbeschäftigung bei ihrer erneuten Einstellung zu berücksichtigen sei. Sie war dort seit 2012 zunächst befristet tätig - bis Ende März 2017 im Bereich der "Konzeption von Weiterbildungsangeboten" mit einem Zeitanteil von 35%. Die Tätigkeiten hoben sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe (EG) 9 b Fallgruppe 1 Tarifvertrag Öffentlicher Dienst der Länder  (TV-L) hervor. Da der Anteil unter 50% lag, war die Arbeitnehmerin in EG 10 TV-L eingruppiert. Zum 01.04.2017 wurde sie unbefristet eingestellt. Nunmehr verlangte ihre Tätigkeit eine "hochschuldidaktische Zusatzqualifikation", die sie 2015 erworben hatte. Sie wurde in EG 11 höhergruppiert, da sich der Zeitanteil für Weiterbildungsaufgaben auf 50% erhöhte. Der Beklagte erkannte die vorherige Tätigkeit nicht als einschlägige Berufserfahrung an und ordnete sie zunächst lediglich der Stufe 1 zu. Die in einer niedriger bewerteten Tätigkeit erworbene Berufserfahrung könne nicht berücksichtigt werden, so die Absage.

LAG bejaht Berücksichtigung ihrer Berufserfahrung

Die Frau gewann sowohl beim ArbG Dresden als auch beim LAG Sachsen. Sie könne für die Zeit vom 01.04.2017 bis 31.03.2020 eine Vergütung nach Stufe 3 EG 11 TV-L verlangen. Insofern sei sie nach § 16 III 1 TV-L ab dem 01.04.2020 in die Stufe 4 EG 11 TV-L einzugruppieren. Die Tarifnorm differenziere nicht zwischen Neu- und Wiedereinstellung. Die Revision des Beklagten beim BAG hatte keinen Erfolg.

Tätigkeitsbezogener Vergleich ist entscheidend

Die Erfurter Richter stimmten dem LAG im Ergebnis zu. Die einschlägigen Berufserfahrungen bis zum 31.03.2017 seien zu berücksichtigen. Die frühere Tätigkeit der Beschäftigten habe sich im Wesentlichen unverändert fortgesetzt. Die höhere Vergütung aus der Entgeltgruppe 11 TV-L ab dem 01.04.2017 resultiere allein daraus, dass sich der zeitliche Anteil dieser Tätigkeiten von 35% auf 50% erhöht habe. Allein die Veränderung der Zeitanteile der von der Klägerin auszuübenden Aufgaben erfordere jedoch keine neue Einarbeitung. Die in der Vergangenheit von ihr mit einem Zeitanteil von 35% übernommene Konzeption von Weiterbildungsangeboten vermittle die erforderliche einschlägige Berufserfahrung für die gleiche ab April 2017 mit einem erhöhten Zeitanteil von 50% auszuübende Tätigkeit. Der Umstand, dass die Angestellte im Rahmen der befristeten Arbeitsverhältnisse in Teilzeit beschäftigt war, stehe einer Anrechnung ihrer einschlägigen Berufserfahrung nicht entgegen. Dies wäre allenfalls bei einem sehr geringen Beschäftigungsumfang denkbar. Bei einer Teilzeitquote von 40 bzw. 62,5% könne davon nicht die Rede sein.

BAG, Urteil vom 29.06.2022 - 6 AZR 475/21

Redaktion beck-aktuell, 19. September 2022.