Schwerbehinderung: Kein AGG-Schutz bei laufendem Gleichstellungsantrag

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt auch für schwerbehinderte oder gleichgestellte Praktikanten, die für ein Berufspraktikum im Sinn von § 26 BBiG eingestellt werden. Jedoch führt ein laufender Gleichstellungsantrag laut BAG nicht zum Eingreifen der schützenden Verfahrensvorschriften.

Ein Student – mit einem Grad der Behinderung von 40* – hatte sich bei der Agentur für Arbeit für ein gefördertes berufliches Praktikum beworben. Teilnehmer des Programms wurden mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 880 Euro brutto gefördert. Für Praxiszeiten erhielten sie monatlich eine Vergütung in Höhe von 1.570 Euro brutto. In dem Vorstellungsgespräch im August 2020 wies der Hochschüler auf seine Behinderung hin und dass er einen Monat zuvor einen Gleichstellungsantrag nach § 2 Abs. 3 SGB IX gestellt habe. Erst nachdem er eine Absage kassierte hatte, wurde er mit Rückwirkung einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Darauf gestützt, forderte er eine Entschädigung in Höhe von mindestens 5.000 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen Behinderung. Da die Agentur für Arbeit von seinem Gleichstellungsantrag gewusst habe, hätte sie die Schwerbehindertenvertretung einschalten müssen. Stattdessen habe man ihm abgesagt, ohne auf die Entscheidung über den Antrag zu warten.

Das LAG Nürnberg wies die Entschädigungsklage zurück, da sich aus seinem Vortrag keine Indizien nach § 22 AGG (Beweislast) ergeben würden, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten ließen.

Auch das BAG stellt sich auf die Seite der Arbeitsagentur. Diese war, so die Erfurter Richterinnen und Richter, während des laufenden Gleichstellungsverfahrens nicht verpflichtet, im Bewerbungsverfahren die Verfahrensvorschriften zugunsten von schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Menschen aus §§ 164 Abs. 1 S. 4, 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX einzuhalten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Gleichstellungsantrag rückwirkend positiv beschieden worden sei.

BAG: AGG persönlich anwendbar

"Allerdings geht der Kläger zu Recht davon aus, dass der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eröffnet ist." Denn darunter fielen nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AGG auch Praktikanten wie er, die nach § 26 BBiG eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben. Dennoch, so das BAG weiter, führe der laufende Gleichstellungsantrag nicht zum Eingreifen der schützenden Verfahrensvorschriften.

Nach der Rechtsprechung des 7. Senats des BAG in vergleichbaren Fällen der Umsetzung, der sich der 8. Senat anschloss, sei geklärt, dass Arbeitgeber gerade nicht verpflichtet sind, die Schwerbehindertenvertretung (vorsorglich) zu unterrichten und sie nach §§ 164 Abs. 1 S. 4, 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX zu beteiligen, wenn über einen Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden worden ist.  Die nach § 151 II 2 SGB IX eintretende Rückwirkung der Gleichstellung auf den Tag des Antragseingangs bewirke jedenfalls gerade keine vorsorgliche Beteiligungsverpflichtung des Arbeitgebers. Dafür spreche auch die Regelung zur Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes in § 173 Abs. 3 SGB IX, durch die der Gesetzgeber die Problematik eines laufenden Anerkennungs- bzw. Gleichstellungsverfahrens erkannt habe und hierfür eine Sonderregelung habe treffen wollen.

(* Die ursprüngliche Formulierung drückte den Grad der Behinderung in Prozent aus. Dies haben wir der korrekten Ausdrucksweise angepasst, jvh, 22.01.2024)

BAG, Urteil vom 16.01.2024 - 8 AZR 212/22

Redaktion beck-aktuell, ns, 16. Januar 2024.