Einladung schwerbehinderten Bewerbers trotz verpasster Mindestnote?

Die Frage, ob ein schwerbehinderter Bewerber mit seiner Entschädigungsklage Erfolg hat, weil er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, muss noch einmal geprüft werden. Das Bundesarbeitsgericht verwies die Sache zurück, weil der Bewerber zwar im Hochschulabschluss nicht die vorausgesetzte Mindestnote 2,0 erreicht hatte, aber noch unklar ist, ob im Gegensatz zum Kläger andere Bewerber mit schlechteren Noten als 2,0 zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden.

Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen auf Ausschreibung

Im Sommer 2018 schrieb die Beklagte für eine Beschäftigung im Bundesamt für Verfassungsschutz mehrere Stellen als Referenten/Referentinnen aus. Im Anforderungsprofil wurde ein wissenschaftliches Hochschulstudium der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften mit der Mindestnote "gut" vorausgesetzt. Der Kläger, der sein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note "befriedigend" abgeschlossen hat, bewarb sich innerhalb der Bewerbungsfrist unter Angabe seiner Schwerbehinderung. Er wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt mit E-Mail der Beklagten vom 17.07.2018 die Mitteilung, dass er nicht in die engere Auswahl einbezogen worden sei.

Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch?

Auf seine außergerichtliche Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG teilte die Beklagte dem Kläger mit, er erfülle nicht die formalen Kriterien der Stellenausschreibung und habe deshalb nach § 165 Satz 4 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Auf dem Klageweg hat der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung weiterverfolgt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn den Vorgaben des SGB IX und des AGG zuwider wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Wenn einem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zugeht, muss er diese nämlich grundsätzlich nach § 165 Satz 3 SGB IX zum Vorstellungsgespräch einladen.

Ausnahme nur bei offensichtlich fehlender Eignung

Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung allerdings entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Dies kann anzunehmen sein, wenn die in einem nach Art. 33 Abs. 2 GG zulässigen Anforderungsprofil als zwingendes Auswahlkriterium bestimmte Mindestnote des geforderten Ausbildungsabschlusses nicht erreicht wird. Der Kläger behauptet, er sei fachlich für die Stelle geeignet gewesen. Die in § 165 Satz 4 SGB IX zugelassene Ausnahme von der Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Stellenbewerbern sei eng auszulegen. Damit sei es unvereinbar, die Abschlussnote eines Studiums als Ausschlusskriterium anzusehen. Die Beklagte habe dieses Kriterium auch nicht während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Daraufhin legte der Kläger Revision beim Bundesarbeitsgericht ein.

Revision hat Erfolg

Die Revision des Klägers vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte nunmehr insoweit Erfolg, als die Klage nicht mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung hätte abgewiesen werden dürfen. Zwar habe das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass die Beklagte berechtigt war, in der Stellenausschreibung für den von ihr geforderten Hochschulabschluss die Mindestnote "gut" als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen und dass dem Kläger angesichts dessen die fachliche Eignung für die ausgeschriebenen Stellen offensichtlich fehlte. § 165 Satz 4 SGB IX sei als Ausnahmevorschrift zwar eng auszulegen. Dem Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG seien jedoch auch die durch das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG geschützten Personengruppen unterworfen. 

LAG muss konsequente Anwendung des Auswahlkriteriums prüfen

Allerdings habe das Landesarbeitsgericht nicht geprüft, ob die Beklagte auch keine anderen Bewerber oder Bewerberinnen, die das geforderte Hochschulstudium nicht mit der Mindestnote "gut" abgeschlossen hatte, zum Vorstellungsgespräch eingeladen bzw. eingestellt hat. Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen habe der Senat nicht entscheiden können, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, die Anforderung eines bestimmten, mit der Mindestnote "gut" abgeschlossenen Hochschulstudiums im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren konsequent angewendet hat. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.

BAG, Urteil vom 29.04.2021 - 8 AZR 279/20

Redaktion beck-aktuell, 30. April 2021.