BAG: Piloten-Kündigungen von Air Berlin wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam

Die Kündigungen des bei der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin angestellten Cockpit-Personals sind wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 27.02.2020 erneut klargestellt. Das Gericht wies darauf hin, dass die Massenentlassungsanzeige nach der Bestimmung des § 17 Abs. 1 KSchG, die im Einklang mit Art. 3 der Richtlinie 98/59/EG auszulegen sei, bei der Agentur für Arbeit zu erstatten sei, in deren Bezirk die Auswirkungen der Massenentlassung auftreten. Im entschiedenen Fall sei der maßgebliche Betriebsbegriff der Massenentlassungsrichtlinie verkannt und deswegen die Anzeige nicht für den richtigen Betrieb erstattet worden (Az.: 8 AZR 215/19).

Massenentlassungsanzeige bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal

Die Fluggesellschaft Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sogenannte Stationen. Diesen war Personal für die Bereiche Boden (soweit vorhanden), Kabine und Cockpit zugeordnet. Der Kläger war bei der Air Berlin als Flugkapitän beschäftigt und der Station Köln zugeordnet. Die Arbeitsverhältnisse des gesamten Cockpit-Personals – einschließlich das des Klägers – wurden nach der am 01.11.2017 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt. Air Berlin erstattete die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen "Betrieb Cockpit" bezogen auf das gesamte bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal bei der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Dieses Betriebsverständnis entsprach den bei der Air Berlin tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal (vgl. § 117 Abs. 2 BetrVG) und trug der zentralen Steuerung des Flugbetriebs Rechnung.

Stilllegungsentscheidung bestritten

Der Kläger hat die Stilllegungsentscheidung bestritten und die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht. Der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt, darunter auch das sogenannte Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft. Angesichts dessen habe eine Sozialauswahl nach dem KSchG durchgeführt werden müssen. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft. Die Vorinstanzen haben die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Streitgegenständliche Kündigung unwirksam

Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des BAG Erfolg. Wie zuvor bereits der Sechste Senat des BAG entschieden hat, handelte es sich nach Ansicht des Gerichts ausgehend von dem durch die Richtlinie 98/59/EG determinierten Betriebsbegriff bei den Stationen der Air Berlin um Betriebe im Sinn des § 17 Abs. 1 KSchG. Folglich hätte die Massenentlassungsanzeige für das der Station Köln zugeordnete Cockpit-Personal bei der dafür zuständigen Agentur für Arbeit in Köln erfolgen müssen. Die Anzeige hätte zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränkt sein dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station Köln etwa zugeordnete Boden-Personal und das dieser Station zugeordnete Kabinen-Personal erfassen müssen. Die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord, die zudem nicht die erforderlichen Angaben enthielt, bewirke die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nach § 17 Abs. 1 KSchG, § 134 BGB.

Frage eines etwaigen Betriebs(teil)übergangs kann offen bleiben

Die Frage eines etwaigen Betriebs(teil)übergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, der im Einklang mit der Richtlinie 2001/23/EG auszulegen ist, sowie die sich gegebenenfalls anschließende Frage einer etwa erforderlichen Sozialauswahl nach dem KSchG könne deshalb offen bleiben.Allerdings sei nach den bisher vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen und dem unstreitigen Parteivorbringen im Übrigen nicht auszuschließen, dass die Kündigung auch mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam ist. Es spreche zwar nichts dafür, dass die sogenannten Stationen "wirtschaftliche Einheiten" im Sinn von § 613a BGB und der Richtlinie 2001/23/EG waren. Anderes könnte jedoch für das sogenannte Wet Lease für eine andere Fluggesellschaft in Betracht kommen, das von einer weiteren Fluggesellschaft fortgesetzt wurde.

BAG, Urteil vom 27.02.2020 - 8 AZR 215/19

Redaktion beck-aktuell, 28. Februar 2020.

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